Löwenfratzen und ein böser Klaus

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Seit gut 150 Jahren verfügt die Stadt Zürich über eine ausgeklügelte öffentliche Wasserversorgung. Mit Trinkwasser beliefert sie auch 1200 Brunnen, allein in der Altstadt deren 105.

Der Sommer naht, und – o Glück – Brunnen laden zum Trinken ein. Die Zürcher Wasserversorgung ist eine Erfolgsgeschichte, die viel zur Lebensqualität der Stadt beiträgt. Aus 320 Brunnen – in der Altstadt sind es deren 63 – sprudelt Quellwasser. Die übrigen Brunnen sind ans normale Verteilnetz angeschlossen. Sie werden – wie die Haushaltungen – mit einer Mischung aus 70 Prozent Seewasser, 15 Prozent Quellwasser und 15 Prozent Grundwasser versorgt, wie es im städtischen «Brunnenguide Altstadt» heisst.

Die beiden Brunnen beim Stadelhoferplatz könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine, klein und unscheinbar, spuckt Quellwasser aus, der andere, ein mächtiger Wasserspielbrunnen, eine Fontäne aus Gusseisen, ist ans Verteilnetz angeschlossen. Dieser Brunnen mit Löwenfratzen und verträumten Kinderfiguren ist seit 1869 in Betrieb. Just seit dieser Zeit datiert die moderne städtische Wasserversorgung, deren Geschichte in Jean-Daniel Blancs Buch «Die Stadt und das Wasser» nachzulesen ist.

Wasser für die ganze Bevölkerung
Im September 1868 beschloss die Zürcher Gemeindeversammlung, dass Wasser auch in den Haushaltungen fliessen sollte. Eine radikale Neuerung, für deren Umsetzung Arnold Bürkli, der erste Stadtingenieur, verantwortlich war. Seine Forderung nach einer öffentlichen, nicht privaten Wasserversorgung fand breite Zustimmung.

Wasser habe dem Hygienebedürfnis der ganzen Bevölkerung zu dienen, so der damalige Stadtrat. Ins Auge fasste Bürkli eine «gemischte» Wasserversorgung: Quellwasser weiterhin für die Brunnen und Brauchwasser aus der Limmat oder dem See für die Haushaltungen.

Die Stadt machte sich mit grossem Elan an die Arbeit. Bis 1871 stellte sie ein Leitungsnetz für Brauchwasser fertig. Von einer Schöpf- und Filteranlage, dem Flusswasserwerk Bauschänzli, floss das Wasser in einer Leitung unter der Limmat zum Pumpwerk Letten am oberen Mühlesteg. Dieses bediente die beiden ersten Reservoire auf der Höhe des Kantonsspitals, welche die Stadt in Betrieb nahm. Reservoire speichern Wasser und regulieren den Druck. Je grösser die Stadt, umso mehr Reservoire benötigte sie für ihre Druckwasserversorgung.

Moderne Leitungen aus Gusseisen
Vor der modernen Wasserversorgung holten die Haushaltungen ihr Wasser bei den Brunnen, die seit dem Mittelalter von stadtnahen Quellen gespeist wurden. Die Leitungen vom Üetliberg, Zürichberg, Adlisberg oder von Hirslanden setzten sich in früher Zeit aus ausgehöhlten Baumstämmen zusammen. Die moderne Wasserversorgung ersetzte diese hölzernen Teuchelröhren durch Leitungen aus Gusseisen. Weil das Quellwasser zu knapp war, schloss die Stadt einzelne Brunnen an das Brauchwassernetz an. Beim Gang durch den Kreis 1 trifft man deshalb allenthalben auch auf Brunnen, die wie die Haushaltungen ans normale Verteilnetz angeschlossen sind. Anders als das einstige Brauchwasser aus dem See enthält das heutige Wasser aus dem Verteilnetz neben Seewasser auch Quellwasser und Grundwasser. Es fliesst durch Leitungen mit einer Gesamtlänge von 1550 Kilometer. 150 Kilometer umfasst das aktuelle Quellwassernetz.

Kleine Brunnen-Tour
Die Tröge und Figuren der Brunnen in der Altstadt stammen zumeist nicht aus ihrer Entstehungszeit. Eine kleine Tour führt vom Stadelhoferplatz vorerst durch die Altstadt rechts der Limmat. Vom Waldmannbrunnen an der Rämistrasse mit seinen zwei besinnlichen Frauenfiguren gehts weiter zum Hechtplatzbrunnen und dann zum Klausbrunnen im idyllischen Neustadtquartier zwischen Franken- und Neustadtgasse. Auf dem alten Kapitell von 1591 platzierte der Bildhauer Arnold Hünerwadel 1910 eine schreckliche Szenerie: einen bösen, kahlköpfigen Chlaus mit langem Bart, der drei schreiende Buben, die sich heftig wehren, mit seiner Fitze in einen Sack prügeln will. Einen Besuch verdienen auch der Napfbrunnen am gleichnamigen Platz, der Jupiterbrunnen (resp. Nike-Brunnen) beim Neumarkt und der Stüssibrunnen bei der Stüssihofstatt von 1575, notabene der einzige mehrfarbige Brunnen in Zürich. Die Figur auf dem Kapitell stellt vermutlich den einstigen Bürgermeister Rudolf Stüssi dar, der an der Hofstatt wohnte und 1443 im Alten Zürichkrieg sein Leben verlor. Links der Limmat sollte man zumindest dem Lindenhofbrunnen mit seiner geharnischten Frauengestalt einen Besuch abstatten. Diese erinnert an die beherzten Zürcherinnen, die 1292 – so die Legende – in Kampfmontur das Heer von Herzog Albrecht von Österreich abschreckten.

Karl Wüst