Standhaft seit hundert Jahren

Bescheiden und in aller Stille fristet er sein Dasein, fällt niemandem zur Last und fällt auch kaum auf. Der Hochkamin an der Frankengasse existiert bereits seit hundert Jahren.

Das hundertjährige Industriedenkmal an der Frankengasse im Oberdorf ist von geradezu diskreter Unauffälligkeit. Die vor exakt hundert Jahren erteilte Baubewilligung für ein Werkstattgebäude der Kupferschmiede von Fritz Gysler-Wunderli umfasste auch einen heute noch bestehenden Hochkamin, der sich neun Meter über das Werkstattdach erhob. Der schlanke, aus Backsteinen gemauerte Kamin wird von einem kunstvoll geschmiedeten Blitzableiter überragt.
Im Baugeschichtlichen Archiv der Stadt Zürich, im Haus zum Rech am Neumarkt, wird eine Hausgeschichte der Frankengasse 5 aufbewahrt, die bezeugt, dass ein bereits damals zum mitten in Wohnhäusern gelegenen Hochkamin ein Tiegelofen gehörte, in dem das Metall für die Fertigung der – so ein zeitgenössisches Inserat im Adressbuch – «vollständigen Kücheneinrichtungen sowie Kochgeschirre in grosser Auswahl» erschmolzen wurde. Die Produkte der Kupfergiesserei und -schmiede konnten in einem Ladengeschäft am «Sonnenquai 16 beim Zwinglidenkmal», dem Standort des heutigen «Sélect Molino» am heutigen Limmatquai, besichtigt und gekauft werden.

Kupfergiesserei
Die Geschichte der Kupfergiesserei an der Frankengasse mit ihrem Hochkamin verlief recht wechselvoll. 1926 wurde die Liegenschaft an den Unternehmer Robert Büchi-Vogt verkauft, der darin eine mechanische Werkstätte und ein technisches Büro betrieb. 1954 übernahm die Stadt das Werkstattgebäude und den Hofraum in der Absicht, die bauliche Entwicklung dieser zentral gelegenen Grundstücke zu beeinflussen. Doch es wurde kaum aktiv von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. 1955 wurde die Liegenschaft an den Kunstmaler und Grafiker Anto Leuthold vermietet. Der Bezug zur Technik blieb insofern erhalten, als 1960 der Flugzeugmechaniker Renaud Devonthery als weiterer Mieter hinzukam.

Kinderkrippe Frankengasse
In den Neunzigerjahren kam es zu einer wesentlichen Veränderung der Nutzung. Der akute Mangel an Kindertagesstätten in der Altstadt führte 1990 zum Beschluss, in der ehemaligen Kupfergiesserei eine Kinderkrippe einzurichten. Der Umbau war radikal, doch die Denkmalpflege der Stadt und das Büro für Archäologie hatten sich bereits im Planungsstadium dafür eingesetzt, dass die ursprüngliche Nutzung der Gebäude, wenn schon nicht erhalten, so doch zumindest ablesbar blieb. Insbesondere gelang es, den Hochkamin zu retten.
Mit der Nutzungsänderung ging ein Wechsel der Verwaltung einher: Für die Kinderkrippe war nun das Büro für Immobilienbewirtschaftung zuständig. Das änderte sich erst vor zwei Jahren, als beschlossen wurde, die Immobilie als Wohnraum zu nutzen. Damit ging das Objekt an die städtische Liegenschaftenverwaltung zurück.
Der Respekt vor der technischen Vergangenheit – und damit dem hundertjährigen Hochkamin – blieb bestehen.

Gregor Henger