Gelungene Jubiläumsfeier

Schon 170 Jahre thront das Pfrundhaus über dem Central, seit 135 Jahren das benachbarte Bürgerasyl. Anlass genug, die beiden ältesten Altersheime der Stadt mit einem grossen Jubiläumsfest zu feiern. Mit einem attraktiven Programm wurden interessante Einblicke geboten, und auch das Gesellige kam nicht zu kurz.

Am schwülwarmen Freitagnachmittag konnte die Heimleiterin Rosmarie A. Meier ihre Gäste im voll besetzten Festsaal des Altersheims Pfrundhaus begrüssen. – In ihrem Referat ging die Historikerin Elisabeth Rickenbach auf die Geschichte des Pfrundhauses ein, die bereits vor dem Bau dieses Gebäudes begann, mit dem alten Pfrundhaus St. Jakob an der Sihl nämlich. Dort, beim Stauffacher, stand der Vorgängerbau aus dem Jahr 1221, der ursprünglich als Siechenhaus (für Aussätzige) erbaut worden war und bis zuletzt kein eigentliches, reines Altersheim war, denn die jüngsten Bewohner waren keine dreissig Jahre alt. Man unterschied je nach dem eingebrachten Besitz (Pfründe) zwischen Herrenpfründern, die ein eigenes Gemach hatten, Mittel- und Siechenpfründern. Letztere waren in Gemeinschaftsräumen untergebracht und mussten arbeiten für ihre Kost und Logis. Überhaupt war man auf die Mitarbeit der BewohnerInnen angewiesen. Ein Pfleger, fünf Bedienstete und ein Pfarrer bildeten das Personal des alten Pfrundhauses. Die Grossfamilie übrigens, die sich um die Alten und Schwachen kümmerte, sei in der Stadt ein Mythos, erklärte die Historikerin. Vielmehr war man in der Not auf Almosen oder Verpfründungsanstalten angewiesen. Als die Gebäude in einem immer schlechteren Zustand waren, entschieden die Stadtbehörden weitsichtig, einen grosszügigen Neubau zu erstellen, damals über der Stadt gelegen, die erst 40 000 Einwohner zählte.

Bedeutender Architekt
Das neue Pfrundhaus konnte 1842 nach dreijähriger Bauzeit als Pfrundanstalt St. Leonhard eingeweiht werden. Erbauer war einer der bedeutendsten Zürcher Architekten des 19. Jahrhunderts, Leonhard Zeugheer (1812-1866). Ihm ist eine Vielzahl weiterer Bauten anzurechnen, wie Thomas Müller von der Kantonalen Denkmalpflege in seinem Vortrag ausführte, etwa die Kaufbuden am Hechtplatz (das heutige Hechtplatz-Theater), das alte Kantonsspital (zusammen mit Gustav Albert Wegmann), von dem ein Gebäude noch steht, die Villen Schönberg und Wesendonck (heute Museum Rietberg), die Kirche Neumünster in Riesbach, das Gesellschaftshaus zum Schneggen am Limmatquai («Gran Café»), das Hotel Bellevue und vieles mehr.

Strenge Pflichtordnung
Anschliessend wurde die interessante Ausstellung eröffnet, durch die Kuratorin Lisa Brun. Durch die an Stellwänden und in Vitrinen präsentierten Exponate erfuhr man allerhand zum Leben im Pfrundhaus. Etwa, dass die Bewohner täglich vier, die Bewohnerinnen zwei Deziliter Wein zugut hatten. Gleich unterhalb des Hauses und entlang der heutigen Weinbergstrasse waren damals Reben, wie eine Abbildung zeigte. Es gab eine strenge Pflichtordnung im Heim. Bis 1929 war es verboten, das Haus nach 21 Uhr ohne Erlaubnis zu verlassen, um 22 Uhr war Lichterlöschen. Bei Zuwiderhandlung gegen die Hausordnung, wenn man etwa betrunken oder bei einem Streit erwischt wurde, konnte etwa der Wochenfranken oder der Wein gestrichen werden. Seit 1965 ist jede und jeder frei im Kommen und Gehen. Im grossen Garten wurden Gemüse und Blumen angebaut und sodann auf dem Markt verkauft. Durch die Verbreiterung der Leonhardstrasse 1934 wurde der Vorgarten entsprechend verkleinert. Im Jahr 1961 wurden sämtliche Zimmer mit Kalt- und Warmwasser ausgerüstet. 1971 wurde der letzte Pfrundvertrag unterschrieben, also die Abtretung des ganzen Besitzes gegen lebenslange Kost und Logis. 1981 übernahm das Sozialamt die Altersheime, die heute beim Gesundheits- und Umweltdepartement angesiedelt sind.

Schönstes Festwetter
Am Samstagmorgen eröffnete ein Frühschoppenkonzert der (1846 gegründeten) Stadtmusik Zürich den zweiten Festtag, der die Gäste bei Traumwetter ins Freie lud. Rosmarie A. Meier hielt die Begrüssungsrede, in der sie die Bedeutung des Pfrundhauses und des Bürgerasyls beleuchtete, denen in den Siebzigerjahren der Abbruch drohte und die erst durch Intervention der Denkmalpflege und den Widerstand in der Bevölkerung davor bewahrt blieben.
Rosann Waldvogel, Direktorin der Altersheime der Stadt Zürich, würdigte die Altersheime Bürgerasyl-Pfrundhaus, die seit dem letzten Umbau vor zwanzig Jahren als Einheit geführt werden, als kleinen Kosmos an zentraler Lage, durch Tram und Polybahn gut erschlossen. Sie betonte den hohen Qualitätslevel, den die Zürcher Altersheime erreicht hätten. Und immer wieder höre sie den Satz, überall, wo sie hinkomme: «Wir leben im besten Haus mit der besten Leitung.»
Anschliessend hielt Stadträtin Claudia Nielsen eine Ansprache. Sie wies auf die deutlich gestiegene Lebenserwartung hin und sagte: «Bis ins 19. Jahrhundert war ein hohes Alter zu erreichen ein Privileg der Reichen. Heute liegt die Lebenserwartung bei über achtzig Jahren, und man bleibt länger gesund.» Und sie erläuterte die neue Altersstrategie. «Das Alter hat viele Gesichter», sagte sie, «wir richten unser Handeln danach aus.»
Schliesslich kam die Architektin Tilla Theuss zu Wort, die den letzten Umbau der beiden Häuser realisiert hat, der vor zwanzig Jahren abgeschlossen wurde. Damals wurden die beiden benachbarten klassizistischen Gebäude betrieblich zu einer Einheit verbunden, wobei sie durch eine unterirdische Verbindung ihren solitären Charakter behalten konnten. «Würde man eigene Bauten als seine Kinder betrachten», sagte die Architektin, «so wären diese beiden Gebäude meine verehrten Grosseltern.» Mit starker Persönlichkeit, widerstandsfähig, eigenwillig, was beim Umbau zu berücksichtigen gewesen sei. Nicht einer Mode oder der Nostalgie zu verfallen habe es gegolten, sondern eine gute Balance zu finden. Sie freue sich, dass sie auch nach zwanzig Jahren noch an Jubiläumsfeiern eingeladen werde.
Die Stadtmusik spielte noch «Quando, quando» und zu guter Letzt den Sechseläutenmarsch.

Menu wie im 19. Jahrhundert
Beim anschliessenden Apéro konnte man auch ehemalige Heimleiterinnen und Heimleiter sehen, so etwa Max und Elisabeth Hallauer-Mager, Susi Mousson und Peter Heinzer. Dann waren die Gäste zu einem Menu Surprise eingeladen, wie es im 19. Jahrhundert serviert wurde: Nach einem Hors-d’euvre wurde eine Flädlisuppe mit bester Fleischbrühe serviert, sodann Kalbshaxe mit Tomate und Safranreis mit Salbeimüüsli, und zum Dessert gab es gebrannte Haselnusscrème mit Bricelets.
Am Nachmittag wurden Führungen durch die Häuser angeboten, und bei Festwirtschaft mit musikalischer Unterhaltung durch Hans Tanner, Akkordeon und Gesang, konnte man in Erinnerungen schwelgen und sich an der Gegenwart freuen.

Elmar Melliger