Des Kaisers neue Schneider

Das Landesmuseum zeigt zum 1200. Todestag von Karl dem Grossen (748-814) in einer prächtigen kulturhistorischen Ausstellung, wie der erste Kaiser des westlichen Mittelalters das 8. und 9. Jahrhundert prägte. Auch in Zürich.

Kaiser Karl der Grosse hat in Europa viel bewegt. Er reformierte die Bildung, die Religion, die Kunst, die Architektur, die Küche, den Gartenbau… Im «Zürcher Personen-Lexikon. 800 biographische Porträts aus zwei Jahrtausenden» (Artemis Verlag, 1968), destilliert aus der zwölfbändigen Zürcher Kulturgeschichte von Sigmund Widmer, Stadtpräsident von 1966 bis 1982, figuriert er zwischen dem katholischen Pfarrer Robert Kälin, der 1833 vom reformierten Zürcher Regierungsrat hochoffiziell an die Augustinerkirche berufen wurde, und dem Fluntermer Chemie-Professor Paul Karrer (1889-1971), Nobelpreisträger.

Gründer des Grossmünsterstifts
Der König der Franken und römische Kaiser Karl der Grosse werde, so wird ausgeführt, in Zürich seit dem 13. Jahrhundert als Gründer des Grossmünsterstifts verehrt. Sie erinnern sich: Ein den karolingischen Jäger fliehender Hirsch soll, so erzählt die Sage, ihm wundersam gezeigt haben, wo Felix, Regula und Exuperantius begraben lagen. Im Haus zum Loch an der Römergasse residierte er und sprach Recht: eine scheussliche Kröte, die freventlich auf dem Nest mit den Eiern einer Schlange hockte, verurteilte er zum Feuertod. Die Schlange bedankte sich bei ihm mit einem kostbaren Edelstein, der Kaiser beim Himmel mit dem Bau der Wasserkirche. Die Statue Karls in der Krypta des Grossmünsters stammt aus dem 15. Jahrhundert, die Kopie am Südturm hat den Status eines Wahrzeichens. All das ist sehr lange her, es war einmal… Karl ist, wie es der Journalistenkollege Christoph Schneider zuverlässig formvollendet formulierte, in die Ewigkeit des Mythos eingegangen.

«Carlimahl» der Schneidern-Zunft
Karl der Grosse, mit seinem Gardemass von 1,84 Metern zu seiner Zeit auch körperlich übergross, wirkt noch heute nach. Die karolingischen Minuskeln, die er erfinden und verbreiten liess, wurden 700 Jahre später wieder entdeckt – die Antiqua ist bis heute die gebräuchlichste Zeitungsschrift geblieben. Und die Zunft zur Schneidern, eine der 13 historischen 1336 in Zürich gegründeten Handwerkerzünfte, wählte Karl den Grossen zu ihrem Schutzherrn mit der Begründung, dass sich im Tross des Kaisers, der fast lebenslänglich auf der Durchreise war, stets zwei Schneider befanden. Immer am 28. Januar, dem Todestag, feiert die Zunft in ihrem «Königsstuhl» das rituelle «Carlimahl», an dem neue Zünfter feierlich aufgenommen werden. Den silbernen «Carlibecher» hat sie den Ausstellungsmachern im Landesmuseum ausgeliehen. Er prunkt in einer Vitrine wie Karls «Jagdmesser», wie das goldene Brustkreuz aus dem Aachener Domschatz, wie die Silberdenare mit seinem Monogramm – als erste europäische Einheitswährung fast schon Euros. Das prächtigste Exponat, das wohl wichtigste, unendlich kostbare Werk der karolingischen Buchkunst, das «Liber Viventium», gehört dem Stiftsarchiv des Klosters St. Gallen.

Kulturelles Erbe
Dass der Kaiser auch ein Schlächter war, ein martialischer Kriegsführer, wird in der Ausstellung nicht gerade totgeschwiegen, aber auch nicht bejubelt. Sein Zeitalter war kein goldenes. Eingebettet im europäischen Kontext, wird das kulturelle Erbe der Schweiz aus der karolingischen Epoche in den Vordergrund gestellt und sinnlich erfahrbar gemacht.
Es gibt vieles zu sehen, zu hören, zu bestaunen und neu zu denken in dieser Ausstellung, für die auch ein anspruchsvolles Rahmenprogramm erarbeitet wurde. Und es gibt ein prachtvolles, schwergewichtiges Buch dazu: «Die Zeit Karls des Grossen in der Schweiz», herausgegeben von den passionierten Fachleuten Georges Desceudres, Jürg Goll und Markus Riek (Benteli, 78 Franken).

Esther Scheidegger

Die Ausstellung dauert bis am 2. Februar, www.karl.landesmuseum.ch.