Gut am Neumarkt angekommen

Die erste Spielzeit von Peter Kastenmüller als Direktor des Theaters Neumarkt geht schon bald zu Ende. Wie ist es bisher gelaufen? Der Altstadt Kurier hat sich mit ihm unterhalten.

Seit dem letzten September sind Sie am Theater am Neumarkt. Sind Sie gut angekommen?
Peter Kastenmüller: Es braucht seine Zeit, den Wechsel der Jahreszeiten mitzubekommen und die Leute kennenzulernen, bis man beginnt, sich im Niederdorf heimisch zu fühlen. Ich habe acht Jahre in Berlin gelebt, fühle mich jedoch immer noch als Münchner, da gibt es viele Parallelen zu Zürich, das ist mir nicht so fremd.

Wie sind Sie angekommen mit Ihrem Programm?
Da müssen sich alle aneinander gewöhnen. Unsere Aufgabe ist es, auf das Programm neugierig zu machen, die Leute zu verführen, zu uns zu kommen. Es ist wichtig, hier einige Zeit zu verbringen, um herauszufinden, was möglich ist, was die Leute interessiert, worüber man ins Gespräch kommen kann.

Wie ist das bisher gelungen?
Wir haben ein tolles Ensemble, das ist gut gelungen.

Was würden Sie denn anders machen?
Ich würde die Stücke ein bisschen anders erzählen. Manchmal wollten wir zu viel, das ist dann nicht gelungen. Die erste Spielzeit ist ja dafür da, auszuprobieren. Die Realität holt einen dann ein (lacht). Wir haben sehr viel ausprobiert. Ich bin indessen überzeugt, dass wir ein klassisches Neumarkt-Theater geblieben sind.

Und die Stücke selbst?
Die sind im Gros sehr schön geworden. Wir sind sehr zufrieden, wollen einiges besser machen und freuen uns auf die nächste Spielzeit.

Die vier Schauspielerinnen und Schauspieler des Ensembles stammen alle aus Deutschland. Macht das einen Unterschied?
Es sind vier Deutsche, wovon zwei die ZHdK absolviert haben, also schon mehrere Jahre in Zürich waren. Dazu kommen Schweizer Kolleginnen und Kollegen. Wir wollen jeweils eine gute Mischung hinkriegen, das ist eine sehr offene Sache, ohne Quote. Das Publikum freut sich über gute Schauspieler, egal, woher die kommen. Ausser natürlich, man bringt ein Stück in Mundart.

Sie haben drei Themenblöcke gewählt und in raschem Wechsel Stücke gespielt. War das etwas viel, eine Herausforderung?
Das Neumarkt-Theater ist ein Theater der Themen und Schauspieler, die technischen Möglichkeiten sind begrenzt. Um diesen Aspekt zu verstärken, haben wir anstelle eines einzigen Spielzeit-Mottos drei aufeinanderfolgende Themenblöcke, wir nennen sie Plattformen, gewählt. Themen wie «Offene Stadt» oder «Glück» in verschiedenen Aspekten zu behandeln, bringt neue Erkenntnisse, da kommt Erstaunliches heraus.

Die dritte, zurzeit laufende Plattform heisst «Oh Markt – No Markt». Worum geht es da?
Es geht um Markt, spielt auch mit «Neumarkt», wo wir uns verorten. Der Markt als Leistungsschau: Wer hat das beste Produkt? Gibt es auch eine andere Seite, einen Nicht-Markt, wo die Gesetze des Marktes nicht gelten? Wenn ja, wo befindet sich der «No Markt»? Die Produktion «Europaallee» von Christoph Frick, Martin Schütz und Bo Wiget, aber auch «Karte und Gebiet» nach dem Roman von Michel Houellebecq und unsere diversen Einzelveranstaltungen nähern sich dem «Oh Markt» und dem «No Markt» von ganz verschiedenen Seiten an.

Wie steht es mit den Publikumszahlen?
Wir haben um unser Publikum kämpfen müssen, doch das ist ein normaler Prozess nach einem Wechsel von Direktion und Ensemble. Gerade wenn man auf Barbara Weber und Rafael Sanchez folgt, die ja sehr erfolgreich waren. Langsam findet das Publikum den Weg zu uns, und die Zahlen steigen stetig.

Wie positionieren Sie sich zwischen Schauspielhaus und dem Theaterhaus Gessnerallee?
Das wird zunehmend schwieriger, weil sich die Theaterformen immer mehr ähneln. Das Schauspielhaus als klassisches gegenüber dem Neumarkt als experimentelles Theater stimmt so nicht mehr ganz.
Nun, wir versuchen, Themen der Stadt aufzunehmen, welche die Leute interessieren. Wir können selber Stücke produzieren, eigene Stücke spielen statt nur Gastspiele wie die Gessnerallee.
Wir können spezifischere Themen aufgreifen und künstlerisch verarbeiten als das Schauspielhaus, können schneller reagieren, weil wir nicht so ein grosses Schiff sind.

Inwieweit spielt der Ort des Theaters, in der Altstadt, eine Rolle?
Das spielt eine grosse Rolle. Wenn ich hier arbeite und lebe, gibt das ein bestimmtes Lebensgefühl. Das widerspiegelt sich in der künstlerischen Arbeit.
Nicht das Heilige der Theaterkunst wird zelebriert, sondern dass alle zusammen ein künstlerisches Produkt entwickeln. Man ist nah aneinander im Kleinräumlichen des Quartiers, das fliesst mit ein. Das hat alles miteinander zu tun, das ist etwas Einmaliges.

Wie ist es für Sie, in der Altstadt, gleich neben dem Theater, zu wohnen?
Das ist super, so nah. Da kann ich kurz rüber gehen, die Kinder sehen, etwas helfen. Am Anfang habe ich gedacht, das sei mir etwas zu eng. Aber ich kenne die Anonymität der Grossstadt. Ich geniesse es, wie man hier in ein Gespräch verwickelt wird. Das ist ein riesiges Geflecht, das ist spannend. Erst muss man natürlich die Codes lernen.

Was macht es denn so anders, in der Altstadt?
Es ist ein ganz anderes Zürich hier, schwer zu beschreiben. Durch die Architektur und die Menschen, die hier wohnen. Es geht rasch, hier in der Altstadt anzukommen. Wir sind sehr warm und herzlich willkommen geheissen und aufgenommen worden.

Sie haben anstelle von Programmheften und neben Flyern drei Büchlein in Folge zum Programm vorgelegt, hübsche gebundene Büchlein. Machen Sie das auch künftig?
In der Zeit des Internets und der Zettel wollten wir etwas Wertvolles machen. Etwas entgegensetzen. Ein bleibendes, schönes Zeugnis unserer Arbeit erhalten für uns und für das Publikum. Das wollen wir weiterentwickeln.

Wie geht es in der zweiten Spielzeit weiter?
Da sind wir heftig am Planen. Zunächst werden wir uns mit dem Thema der Lüge auseinandersetzen, mit der Lüge als etwas Menschlichem. Dazu wird es eine Reihe von Stücken und Projekten geben, von September bis Ende Jahr. Noch davor gibt es nach der Sommerpause anfangs September nochmals vier Tage zum Thema «No Markt».

Ein letztes Wort noch, ein Wort zum Schluss?
Es ist erstaunlich, wie verankert das Theater Neumarkt im Quartier ist, wie gross die Identifikation damit ist. Da spürt man das Interesse und ein Bewusstsein. Das kannte ich so vorher nicht. Und da gibt es nicht so eine Schwelle, eine Hemmschwelle. Da hat einer einen Laden, ein anderer führt ein Restaurant, ein Dritter ein Theater… Das schätze ich sehr.

Interview: Elmar Melliger

Zur Person
Peter Kastenmüller (geb. 1970) ist in München aufgewachsen. Er arbeitet seit fünfzehn Jahren als freier Theater-Regisseur und war tätig unter anderem in Basel, München, Frankfurt und die letzten acht Jahre in Berlin. Seit September leitet er als Direktor das Theater Neumarkt mit fünfzig Mitarbeitenden, von denen die meisten auf der Werd-Insel arbeiten, wo sich die Werkstätten und Proberäume befinden.
Peter Kastenmüller lebt mit seiner Partnerin Hilke Altefrohne, die als Schauspielerin beim Schauspielhaus engagiert ist, und den drei gemeinsamen Kindern am Neumarkt.
EM