Wichtige Anlaufstelle im Quartier

Eigentlich war nur ein Mieterwechsel vorgesehen. Doch nun droht die Schliessung, denn die Hausverwaltung möchte den Raum lieber nicht mehr als Kiosk vermieten. Für das Quartier ist der Kiosk aber wichtig. Mit einer Unterschriftensammlung will man die Hauseigentümer und -verwalter dazu bewegen, die Weiterführung des Kiosks zu ermöglichen.

Henrieta Knezova macht eine halbe Drehung nach rechts, greift ins Gestell und so liegt das gewünschte Päckli Zigaretten auf der Auslage, noch bevor der Kunde beim Kiosk ­angelangt ist. Ein anderer kommt, grüsst und sagt bloss: «Zwei.» Und erhält zwei Päckli Zigaretten nach seinem Geschmack. Eine Quartierbewohnerin kauft ihre Zigis immer mit schlechtem Gewissen, sie möchte ja aufhören mit dem Rauchen. Zwei ­Buben haben je einen Zweifränkler zur Verfügung, den sie genüsslich in Süssigkeiten investieren. Über die Auslage gelehnt sucht sich einer nach dem anderen die optimale Kombination von Schleckereien zusammen. «Jetzt bist du auf 1.80», erklärt die Kioskbetreiberin geduldig.
«Die Kinder sind süss», sagt sie strahlend, «den grossen Umsatz bringen sie ja nicht. Sie kommen auf dem Schulweg vorbei.» Eine ältere Dame sucht sich beim Zeitschriftenständer einige Illustrierte heraus. Die Presseerzeugnisse und die Raucherwaren machen den Hauptteil des Umsatzes aus. Ein weiterer Kunde verlangt ein Päckli Zigaretten einer bestimmten Marke und der Schreibende blickt Henrieta fragend an. «Der war noch nie da», sagt sie und lacht hellauf. Sie hat ein geradezu fotografisches Gedächtnis und kennt daher die Wünsche ihrer Kundschaft, auch wenn jemand schon lange nicht mehr da war. Was ihr mehr Mühe macht, ist das Behalten von Namen.

Weiterexistenz in Frage gestellt
Und zurzeit bereitet ihr etwas ganz anderes Mühe und Sorgen. Folgendes hat sich nämlich zugetragen: Nachdem sie den Kiosk am Neumarkt schon zehn Jahre betreibt, hat sie, nunmehr vierzig Jahre alt, beschlossen, sich beruflich zu verändern. Die gelernte – Achtung, bitte nicht erschrecken – Ernährungsberaterin und ehemalige Profisportlerin (Volleyball) möchte wieder etwas Neues machen. Bei einer Sechstagewoche mit sechzig Stunden bleibt ihr einfach nicht genügend Zeit für ihre anderen Interessen. Auch wenn sie wahnsinnig gern am Kiosk arbeitet, der übrigens gut läuft. Sie kennt viele ihrer Kundinnen und Kunden und hält gern einen Schwatz mit ihnen. Es gibt eine grosse Stammkundschaft aus dem Quartier, Bewohnerinnen und Bewohner sowie bei den umliegenden Restaurants, Geschäften, Büros und beim Obergericht Arbeitende. Sodann viele Passantinnen und Passanten und wie erwähnt Schul­kinder des nahen Schulhauses.
Um die reguläre sechsmonatige Kündigungsfrist etwas abzukürzen, hat Henrieta Knezova einen Nachmieter gesucht und gefunden. Diesen hat sie bei der Verwaltung, der Immonta AG in Regensdorf, vorgestellt. Diesem wurde nach seinen Aussagen ein Fünfjahresvertrag in Aussicht gestellt und es wurden bereits gewisse Details besprochen, etwa, dass die Sprayereien über dem Kiosk dann noch entfernt würden, sodass er sich sicher war, dass er den Mietvertrag übernehmen kann. In dieser Situation hat Henrieta Knezova (respektive ihr Ehemann Mentor Halilaj) den Vertrag per Ende Dezember gekündigt, mit Nennung des Nachmieters, und die Kündigung wurde bestätigt, per 15. Dezember.
Nachdem der designierte Nachmieter dann nichts mehr vernahm, erkundigte er sich telefonisch nach dem Verbleib des Mietvertrags. Da wurde ihm beschieden, dass man die Räumlichkeit nicht mehr als Kiosk vermieten wolle. Dies unter anderem, weil im Haus ein renommiertes Architekturbüro eingemietet sei und sich das schlecht vertrage mit der Kühltruhe (für die Glaces) und den Zeitungsständern im Treppenhaus.

Kein Platz mehr für den Kiosk?
Auf Anfrage des Altstadt Kuriers erklärte Markus Meyer von der Burck­hardt + Partner AG, die drei der vier Obergeschosse des Hauses mietet, nach internen Abklärungen: «Wir haben damit nichts zu tun, sind nicht involviert. Von unserer Seite ist nichts unternommen worden gegen den Verbleib des Kiosks.»
Roger Dietz, Geschäftsführer der Immonta AG, welche das der PAX Ver­sicherung in Basel gehörende Haus verwaltet, erklärte dazu: «Wir haben die Kündigung zum Anlass genommen, das Ganze zu überdenken. Mit dem Kiosk sind wir ein paar Kompromisse eingegangen für das Gebäude, denn der Platz ist im Eingangsbereich sehr knapp.» Man habe noch andere, namhafte Mieter im Haus. Diese hätten sich zwar nicht mit Briefen oder so formell beschwert, aber es habe Reklamationen gegeben wegen dem verstellten Treppenhaus, auch betreffend Lieferungen für das Möbelhaus. Einfach wegen dem knappen Platz sei das. – Das Ganze richte sich nicht gegen den Kiosk als solchen, der gut laufe, und nicht gegen die heutigen Betreiber. Es gehe um einen Grundsatzentscheid zusammen mit dem Eigentümer, was das Vernünftigste sei. Darauf angesprochen, dass dieser Kiosk für das Quartier und die Belebung des Neumarkts wichtig sei, sagte Roger Dietz: «Ich muss für das Haus schauen, kann nicht für das ganze Quartier schauen. Wir haben das einfach mal zum Anlass genommen, das zu überdenken. Ich kann Ihnen jetzt nichts versprechen. Mal im November werden wir dann entscheiden, was wir machen wollen.» Dies wurde seitens der PAX bestätigt: Es hätte sich gezeigt, «dass der Eingangsbereich und die Kon­stellation mit dem Kiosk keine optimale Nutzung des Gebäudes» darstelle und man habe entschieden, die Räumlichkeiten «nicht erneut zum Betreiben eines Kiosks zu vermieten. Die frei werdenden Räume werden nun für eine optimierte Nutzung des Gebäudes verwendet. Detaillierte Pläne dazu liegen heute noch keine vor.»
Henrieta Knezova ist am 12. Dezember zum letzten Mal im Kiosk am Neumarkt. Es könnte ihr eigentlich einerlei sein. Doch das ist es nicht, zu sehr sind ihr die Leute hier ans Herz gewachsen: «Ich hoffe für das Quartier, dass es weitergeht mit dem Kiosk!»

Elmar Melliger


Petition
Um etwas für das Weiterbestehen des beliebten Kiosks am Neumarkt zu tun, haben Leute aus dem Quartier (von Altstadt Kurier und Quartierverein Zürich 1 rechts der Limmat) am 30. Oktober eine Unterschriftensammlung gestartet, auch wenn dafür nur wenige Tage Zeit bleibt, nämlich bis zum 10. November. Damit soll der Verwaltung Immonta AG und der Hauseigentümerin PAX aufgezeigt werden, dass das Weiterexistieren dieses kleinen und charmanten Kiosks vielen Menschen am Herzen liegt.

Kiosk im Quartier
Der Kiosk am Neumarkt 28 besteht seit Jahrzehnten. Früher war er Teil eines dichten Netzes von Kiosken in der Altstadt rechts der Limmat, das in letzter Zeit zunehmend Lücken aufweist.
Allein in den letzten Jahren sind einige Kioske verschwunden: So wurde der Kiosk am Zähringerplatz, Ecke Spitalgasse geschlossen. Der zum Café «Marion», heute Bistro «Chez Marion» an der Mühlegasse, Ecke Zähringerplatz gehörende Kiosk hat sein Angebot sukzessive verkleinert und führt seit diesem Sommer nur noch Zigaretten. Der «Raben»-Kiosk an der Schifflände wurde vor etwa zwei Jahren aufgegeben. Der Kiosk an der Münstergasse 29 / Marktgasse hätte ebenso geschlossen werden sollen und konnte nur gerettet werden, weil Beat Curti kurzerhand das Haus kaufte und dafür sorgte, dass hier weiterhin ein Kiosk ist, weil er findet, dass hier ein Kiosk einfach hingehört.
Abgesehen davon gibt es Kioske erst wieder am Rand, an den Eckpunkten der rechtsufrigen Altstadt, nämlich am Pfauen (Heimplatz), am Bellevue und am Central. – Umso bedeutender ist in diesem Zusammenhang der Kiosk am Neumarkt geworden.
EM