Den Männern ein Daheim bieten

Die Herberge zur Heimat an der Geigergasse 5 kann ihr 150-jähriges Bestehen feiern. Sie tut dies mit einem grossen Fest. Die Institution ist in der Altstadt seit Menschen­gedenken gut verankert.

Den mahnend erhobenen Zeigefinger über dem Eingang sieht man als Ers­tes, wenn man an der Geigergasse auf die Herberge zur Heimat zusteuert. Das Haus wird als Zweigwerk der Evangelischen Gesellschaft des Kantons Zürich betrieben. Daraus den Schluss zu ziehen, dass hier ein streng religiöses Regime herrscht, wäre verfehlt, wie Maurus Wirz, seit 2008 Geschäftsführer der Institution, erklärt: «Die Religionszugehörigkeit spielt bei uns keine Rolle.» Weder beim Personal – es arbeiten hier dreissig Personen in den Bereichen Betreuung und Pflege, Hauswirtschaft und Administration –, noch bei den Bewohnern. Die Letzteren kommen mehrheitlich aus der Stadt Zürich und werden von den Sozialen Diensten zugewiesen. 49 Betten zählt das Männerwohnheim heute. Das war nicht immer so, in der langen Geschichte des Hauses fanden hier zu Spitzenzeiten bis 150 Männer einen Schlafplatz.

Schwieriger Lebensrucksack
Der im Frühling 2015 abgeschlossene, acht Monate dauernde Umbau war für die Bewohner keine leichte Sache, mussten sie diese Zeit doch in Embrach im «Exil» verbringen. Entsprechend froh sind sie nun, wieder hier zu sein. Beim Umbau wurde das Haus auf den heutigen Stand gebracht und hat die Betriebsbewilligung als Inva­lideneinrichtung für Erwachsene erhalten, was unter anderem den Einbau zusätzlicher Duschen bedingte. Gegenwärtig zählt das Haus 27 Einzel- und 11 Doppelzimmer.
Die Bewohner sind alle im Erwachsenenalter, aktuell zwischen 22 und 79 Jahre alt. Viele von ihnen haben eine psychische Beeinträchtigung, eine Suchtproblematik (Alkohol oder an­dere Suchtmittel) oder sonst «einen schwierigen Lebensrucksack zu tragen», wie Maurus Witz sagt. «Leute, die zwischen Stuhl und Bank gefallen sind, die Pech gehabt haben im Leben.» Das können schwierige Ereignisse gewesen sein wie eine Scheidung oder der Verlust eines Menschen, der Arbeit, der Wohnung.

Sich zu Hause fühlen
Für Maurus Wirz ist es ein wichtiges Ziel, dass sie alle sich hier möglichst zu Hause fühlen. «Es wird versucht, die Lebensqualität der Bewohner ständig zu optimieren und sie indi­viduell zu begleiten, damit sie ein möglichst normales Leben führen können. Die Betreuungs- und Pflegeplanung geschieht in Zusammen­arbeit und Absprache mit dem Be­wohner und den Bezugspersonen.»
Drei der Männer sind im «Bewohnerrat» und es werden monatliche Hausversammlungen abgehalten, an denen alle ihre Anliegen einbringen können. Die Herberge hat sich entwickelt von der einstigen Pension, wo eine Schlafgelegenheit und warme Mahlzeiten geboten wurden, hin zu einem Wohnheim mit Betreuung. Das beinhaltet auch das Anbieten einer Tagesstruktur.
An der Brunngasse 3 konnte vor sechs Jahren ein Atelier gemietet werden, in dem die Bewohner jeweils am Nachmittag in der K-Lumet-Herstellung mitarbeiten können, das sind Anzündhilfen für den Grill oder das ­Cheminée. Weitere Beschäftigungsmöglichkeiten bieten sich im Hause selbst an: Die stundenweise Mithilfe in der Küche, in der Waschküche, bei der Reinigung der allgemeinen Räume und der Zimmer. Denn keiner der Bewohner geht einer geregelten Arbeit in der Privatwirtschaft nach. Durch die Arbeit verdienen sich die Mitwirkenden Anerkennung und ein symbolisches Entgelt.

Das Zusammenleben regeln
Die Hausordnung ist im Laufe der Zeit immer wieder angepasst worden, einige Regeln gilt es einzuhalten, damit das Zusammenleben gut funktioniert. Dazu gehört ein angemessener Umgangston, darauf legt Maurus Wirz grossen Wert, damit man sich hier wohl fühlen kann. Frauenbesuche sind nur im Erdgeschoss, also im Café erlaubt, nicht in den Zimmern. Und um 23.30 Uhr müssen alle drin sein, dann wird die Haustür geschlossen. Demnächst wird ein Konzept erarbeitet, in dem auch Themen wie Sex oder Gewalt im Haus behandelt werden. Gut möglich, dass sich noch einige Änderungen der Hausordnung ergeben.
Weil es verschiedene Bewohner mit einer Suchtproblematik gibt, ist der Konsum von Alkohol (und anderer Suchtmittel) im Gebäude nicht gestattet. Wer ein Bier trinken will, kauft es und konsumiert es draussen. Während der warmen Jahreszeit bei den Bewohnern besonders beliebt sind dafür die Bänke auf dem Schiffländeplatz gleich unterhalb der Geigergasse. Hier im Schatten der Bäume lässt es sich gut verweilen und es läuft auch immer einiges, es gibt immer ­etwas zu sehen. «Wir haben glücklicherweise eine tolerante Nachbarschaft», sagt Maurus Wirz. Wohl habe es schon Reklamationen gegeben, wenn einer laut gewesen sei, doch generell laufe es gut.
Die Herberge ist ja auch schon ewig lange da und ist im Quartier gut verankert. Einmal im Monat kommt Pfarrer Christoph Sigrist vom nahen Grossmünster vorbei und setzt sich ins Café, bereit für ein Gespräch, sofern das gewünscht wird. Bei einem Todesfall wird die Abdankung im Grossmünster, in der Zwölfboten­kapelle, abgehalten. Die Herberge ist eine der wenigen Institutionen mit ­eigenem Heimarzt, gegenwärtig ist das Andreas Vögele, der seine Praxis in der Altstadt hat. Er kommt einmal pro Woche ins Haus und hält Sprechstunde.
Die 1866 gegründete Institution war zunächst im Augustinerhof beheimatet, bevor sie 1897 ihr Domizil an der Geigergasse 5 bezog. Noch anfangs der 1980er-Jahre gab es für 100 Männer, die in drei Schlafsälen hausten, eine einzige Dusche im Keller. Danach konnte man auf ­jeder Etage duschen, mit dem Umbau vor einem Jahr wurden wie bereits ­erwähnt weitere Duschen eingebaut, Toiletten erneuert, Zimmer gestrichen und teilweise neu möbliert, ebenso wurde die Küche und der Speisesaal/Café renoviert.
Die fünfstöckige Liegenschaft umfasst neben dem Erdgeschoss mit dem Speisesaal/Café vier Wohnetagen. Die zweite ist eine Leichtpflegeabteilung. «Es ist uns wichtig», so der Leiter, «dass die Bewohner möglichst lange in ihrem Daheim bleiben können, auch wenn es ihnen mal schlechter geht, und nicht sogleich verlegt werden müssen.» Zuoberst befindet sich eine Dachterrasse mit atem­beraubendem Ausblick. Die Dachterrasse ist tagsüber für die Bewohner geöffnet und wird gern genutzt.
Am Freitag, 17. Juni, feiert die Herberge zur Heimat anlässlich ihres 150-jährigen Bestehens ein grosses Fest, auf dem Schiffländeplatz und im Haus. Das Café ist geöffnet, und auf einem geführten Rundgang besteht die Möglichkeit, das Haus zu besichtigen, einen Blick in einige der schlicht und zweckmässig eingerichteten Zimmer zu werfen. Nicht verpassen sollte man die Dachterrasse.

Elmar Melliger