«Läbis 1», eine Quartierinstitution

Fast 25 Jahre nach der Gründung muss der «Läbis 1» an der Brunngasse aufgeben. Die Umsätze sind zurückgegangen. Und für eine abermalige Innovation fehlte zuletzt die Kraft.

Lange Gesichter an der Brunngasse 6: Am Montag, 6. Februar, war der «Läbis 1» geschlossen. Das hat es noch nie gegeben. Ein Unglück in der Familie? Es fanden sich keinerlei Hinweise auf den Grund der Schliessung.
Am folgenden Tag Telefongespräch mit dem «Läbis 5», der ebenfalls durch die Familie Nanopoulos betrieben wird: Alle sind wohlauf. Es sind wirtschaftliche Gründe, welche zur (vorübergehenden?) Schliessung des Ladens geführt haben. Alles sei im Fluss, die Zukunft ungewiss, man könne nichts Definitives sagen. – Es begann eine lange Zeit der Ungewissheit, auch für die Kundschaft. Viele waren in Sorge.

Ein Familienunternehmen
Petros Nanopoulos, der Inhaber von «Läbis 1» und «Läbis 5», war seinerzeit Filialleiter des Coop an der Spitalgasse 5, als der Grossverteiler beschloss, dass Läden unter 350 Quadratmeter Ladenfläche nicht ins Unter­nehmen passten und der Laden somit 1993 geschlossen wurde. Der Quartierverein Zürich 1 rechts der Limmat startete eine Petition, bearbeitete den Filialleiter und gelangte an die Stadt mit dem Anliegen, weiterhin einen Laden im Quartier zu haben. Fast zur selben Zeit verstarb Hanni Schnell, die am Predigerplatz bis ins hohe Alter einen Lebensmittelladen in einer städtischen Liegenschaft betrieben hatte. Der Weg war offen für einen Neustart, Petros Nanopoulos übernahm den (sehr kleinen) Laden und führte ihn ein Jahr. Da ergab sich 1994 die Gelegenheit für den Umzug an die Brunngasse 6, wo Betten Minder ausgezogen war. Hier betrug die Fläche einiges mehr und ein schöner Quartierladen konnte eingerichtet werden, mit allen Produkten des täglichen Bedarfs inklusive griechischer Spezialitäten. Ins Logo gehört denn auch ein Olivenzweig. Es waren glückliche Zeiten für das Quartier, der Laden wurde mit Herzblut geführt und lief gut.
Petros Nanopoulos betrieb für zwei Jahre einen weiteren Laden in Rüti/Winkel und übernahm 1996 die «K 3000»-Filiale an der Dolderstrasse beim Hottingerplatz, die er als «Läbis 7» bis 1999 ebenfalls führte und dann verkaufte. 2002 eröffnete er in der neu erstellten Siedlung Limmatwest ein Lebensmittelgeschäft, im Kreis 5, also wurde es der «Läbis 5». Petros Nanopoulos hatte nun dort seinen Wirkungskreis. Seine Frau Fränzi führte den «Läbis 1» weiter.
Inzwischen ist die Geschäftsführung an die jüngere Generation weitergegeben worden: Tochter Myrtho führt den «Läbis 5», der Vater löst sie jeweils ab, hilft aus. Er wird demnächst 68 Jahre alt und arbeitet nicht mehr voll mit.
Dieses Geschäft läuft gut, es hat hier rundherum nicht so viele Alternativen zum Einkaufen, auch führt der Laden eine Poststelle, was zusätzliche Kundschaft bringt.

Ungünstige Entwicklung
Anders sieht es aus im «Läbis 1». Hier hat vor einigen Jahren Sohn Philipp die Geschäftsführung übernommen, Mutter Fränzi half weiterhin mit im Betrieb. Der Laden sah sich in den letzten Jahren zunehmender Konkurrenz ausgesetzt.
Nach dem Auszug der Post an der Mühlegasse hielt es der orange Riese für angebracht, hier eine Kleinstfili­ale zu eröffnen, also eine Migros im Abstand von zweihundert Metern. An der Niederdorfstrasse öffnen quasi im Monatstakt neue «Kioske», die an sieben Tagen die Woche fast rund um die Uhr ihre Ware anbieten. An der Stüssihofstatt hat sich die «Äss-Bar» mit Backwaren vom Vortag etabliert. Dass am Central soeben Denner einen Laden eröffnete, am Pfauen Spar und demnächst anstelle der Fraumünster-Post Lidl sich positioniert, mag das Bild verdüstert haben, das sich Petros Nanopoulos gezeigt hat, als er sich die Bilanzen der vergangenen Jahre vornahm.
«Seit drei Jahren», erklärte er im Gespräch, «schreibt der ‹Läbis 1› Ver­luste, die ich mit dem ‹Läbis 5› quersubventionierte. Das geht auf Dauer nicht, sonst reisst es am Ende beide Geschäfte in den Abgrund.» Letztlich trage er als Inhaber die Verluste, ­wobei die beiden Läden als GmbHs ­eigenständig organisiert sind. Der Umsatz habe sich gegenüber den goldenen Anfangsjahren fast halbiert, sagte Petros Nanopoulos. Vor gerade etwa fünf Jahren habe er einige hunderttausend Franken investiert in eine neue Kühlanlage mit neuen Vitrinen, einen neuen Boden, neue Beleuchtung, in der Hoffnung, das Geschäft damit wieder ankurbeln zu können.
Das hat offenbar nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Weil er selber nicht mehr der Jüngste sei, könne er nicht mit einem neuen Konzept nochmals eine neue Wende einleiten. – So hat Nanopoulos denn nach vielen schlaflosen Nächten, wie er sagte, schweren Herzens die Bilanz deponiert. Das ist ihm und seiner Familie gehörig unter die Haut gegangen, wie er sagte.

Schwieriges Ende
Heute arbeitet die ganze Familie Nanopoulos im «Läbis 5» mit. Philipp Nanopoulos derzeit mit einem halben Pensum, er besorgt den Einkauf und ist auf Stellensuche. Bereits Ende Oktober ist er mit seiner Familie in den Kanton Aargau gezogen. Fränzi Nanopoulos arbeitet ebenfalls Teilzeit, ebenso wurden die beiden Lehrtöchter übernommen. Zurzeit ohne Stelle ist leider die einzige Angestellte, die Petros Nanopoulos gerne wieder einstellen würde, sobald sich eine Möglichkeit dazu ergäbe.
Für viele unverständlich war die Art der Kommunikation oder vielmehr der Umstand, dass gar nichts kommuniziert wurde. Zuerst hätte man ja schon länger mal auf die schwierige Geschäftslage aufmerksam machen können und damit das Bewusstsein für den Quartierladen stärken. Darauf ist verzichtet worden – wie viel es gebracht hätte, muss offen bleiben. Die Schliessung kam dann völlig unvermittelt, traf fast alle unvorbereitet. Man sorgte sich um das Wohl der Familie… Petros Nanopoulos: «Ich hätte einen Abschied nicht ertragen, gesundheitlich nicht verkraften können. Zu viel Herzblut steckte hier drin…» – Also auf beiden Seiten die starke Beziehung… In Rechnung gestellt werden muss hier sicher die emotionale Seite des Ganzen. Nichts an der ganzen Sache war einfach.
Immerhin: Alle leben, alle sind so weit gesund. Wenigstens der «Läbis 5» kann weitergeführt werden.
Und nebenbei: Das Frühlingsfest vom Sonntag, 9. April, wird wie die vielen Jahre davor unter anderem wieder ein griechisches Buffet haben. Es stammt wie die vielen Jahre davor aus der ­Küche des «Läbis 5». Und wer weiss, vielleicht gibt es bei dieser Gelegenheit ein Wiedersehen mit der Familie Nanopoulos. Im Quartier hat man sie ja sehr ins Herz geschlossen.

Elmar Melliger