Kirchlicher Zusammenschluss

Ab 2019 gibt es die Kirchgemeinden der Altstadt nicht mehr. Die Strukturen ändern, die Kirchen und ihre lebendige Ausstrahlung aber bleiben.

Am 28. September 2014 fällten die Mitglieder der reformierten Kirche einen folgenreichen Entscheid: In einer erstaunlich wenig kontroversen Urnenabstimmung wurde die Fusion aller Kirchgemeinden auf Zürcher Stadtgebiet beschlossen. Aus den 34 alten autonomen Gemeinden soll eine einzige werden – ein kühner Entscheid, über dessen Folgen einige im Nachhinein wohl etwas erschrocken sind. Unter der Führung des Stadtverbandes wurde darauf eine Projektorganisation aufgezogen, die den ehrgeizigen Zeitplan erfüllen soll. In Steuerungsgruppen, Kommissionen, Grossgruppenkonferenzen und Vernehmlassungen wurde und wird der Boden vorbereitet für den Zusammenschluss am 1. Januar 2019.
Neben rechtlichen Aspekten waren vor allem organisatorische Fragen zu klären: Wo liegen welche Entscheidungskompetenzen? Was wird zentral geregelt, was an den Orten, wo das tägliche Leben stattfindet? Wie sind die demokratischen Prozesse zu gestalten? Wo werden Finanz- und Personalressourcen verwaltet? – Aktuell liegt der von der Zentralkirchenpflege verabschiedete Zusammenschlussvertrag vor. Bis Ende Juni befinden alle Gemeinden in ihren Kirchgemeindeversammlungen darüber, danach ist eine neue Kirchgemeindeordnung zu erstellen, über die schliesslich im Herbst 2018 an der Urne abgestimmt wird. Der Vertrag beschreibt unter anderem die künftige Organisation. Sie wird zentral von einer Kirchenpflege und einem städtischen Parlament geführt, auf lokaler Ebene sind 10 Kirchenkreise vorgese-hen, die das Leben vor Ort begleiten und gewährleisten, dass das Verhältnis zur Leitung nicht auf bürokratische Abläufe beschränkt bleibt.

Kirchenkreis 1
Was bedeutet dies für die Altstadt? Auch die altehrwürdigen Gemeinden Fraumünster, St. Peter, Predigern und Grossmünster sind in zwei Jahren Geschichte. Sie gehen in der einen Stadtgemeinde auf, ihre Kirchen und ihr Gebiet werden zu einem administrativen Kirchenkreis 1 zusammengefasst. Derzeit erarbeitet ein Ausschuss der vier Kirchgemeinden Vorschläge für die Abläufe der künftigen Zusammenarbeit. Es wird zu klären sein, wie weit die Aufgaben der Sozialdiakonie, der Pfarrer, Kirchenmusiker, Sigristen und Sekretariate an die Kirchen gebunden bleiben, und welche Arbeiten zusammengelegt werden können. Solche Themen sind Teil der täglichen Praxis und können auch später noch angepasst werden. Das Zusammenleben wird sich allmählich etablieren und einspielen. Fusionen brauchen bekanntlich Jahre über den Zeitpunkt ihres Vollzugs, bis sie zur Normalität werden. Entsprechend schwierig sind darum im Moment jene Fragen zu beantworten, die unter den Kirchgängern am häufigsten gestellt werden: Wie wird sich die künftige Organisation anfühlen? Was ist mit der Empfindung von Zugehörigkeit, die für die Gemeindebildung so wichtig ist? Wo ist «meine» Kirche, wenn sie keine eigene Gemeinde mehr hat?

Nicht die Organisationsform…
Mit Vorsicht sei eine Prognose riskiert. Die Kirchgemeinden der Stadt und besonders jene der Altstadt sind schon lange nicht mehr durch ihre Organisationsform identitätsstiftend. Was die Menschen in die Kirchen führt, sind die Veranstaltungen, die Ausstrahlung der Pfarrpersonen, die Musik, die Aura der Räume, die Mitarbeitenden, die anderen Menschen, die Zentrumswirkung der Altstadt und ihre touristische Attraktionskraft für Hunderttausende von Besu-chern. Sie interessieren sich nicht für organisatorische Fragen, man geht nicht wegen Gremien in die Kirche.

Die Kirchen bleiben
Wenn die Fusion gelingt, werden wir also künftig diskretere Verwaltungsstrukturen haben, die den Realitäten angemessener sind als die alten Klein-Kirchgemeinden. Sie arbeiten effizient im Hintergrund und halten den Rücken frei für die diakonischen, liturgischen und kulturellen Aktivitäten, die sich kooperativ und in wechselseitiger Ergänzung im ganzen Altstadtkreis entfalten. Und beiläufig werden dann wohl auch die alten, etwas bizarr anmutenden Abgrenzungs- und Identitätsbeschwörungen unter den Gemeinden aufgehoben, die manchmal glauben machen, dass das Leben links und rechts der Limmat komplett verschieden sei.
Natürlich zirkuliert aber auch die gegenteilige Vision eines zentralistischen Bürokratiemonsters. Dass sie eintrifft, wissen Augenmass und gesunder Menschenverstand hoffentlich zu verhindern. Mit Sicherheit aber wissen wir: Gross- und Fraumünster, St. Peter, Prediger- und Wasserkirche bleiben und laden weiterhin zum Besuch und zur lebendigen Teilhabe ein.

Von Michael Eidenbenz
Präsident der Kirchgemeinde Grossmünster