Werk- und Lebensraum

Das Atelier von Susanne Keller an der Froschaugasse 5 ist eine Welt für sich. Ein grosser Raum, mit Wänden unterteilt, an denen Bilder dezent beleuchtet werden. Hier arbeitet und lebt die Künstlerin. Der Altstadt Kurier hat sie besucht.

Der Blick ins Schaufenster macht neugierig. Im einen Fenster ist eine Serie kleiner Bilder, etwa in Postkarten­grösse, in der Auslage. Hinter der ­Glastüre hängt an einer Querwand ein grossformatiges Bild, ein Blick ins Innere des Raumes trifft auf eine Pols­tersitzgruppe vor der rechten Seitenwand, an der vier grossformatige Bilder als Komposition nebeneinander hängen. Weit hinten erspäht man eine Staffelei und Farben. Es ist das Atelier von Susanne Keller.
Die Künstlerin empfängt den Besucher wie einen alten Freund. Seit 2017 ist sie hier, im Mai 2018 hat sie offiziell Eröffnung gefeiert in ihrem Atelier, das keine Galerie ist. Deshalb das Schild mit der Aufschrift «Closed» an der Türe und der Hinweis auf die Öffnungszeit: Samstag 13 bis 16 Uhr. «Ich musste das so machen», erklärt sie, «denn ich arbeite hier.» Es geht nicht, wenn dauernd jemand hereinkommt und sich umschaut oder auf einen Schwatz kommen will. Das war in ihren früheren Ateliers anders, aber hier, inmitten der Altstadt, hat es einfach zu viele Passanten.
1954 in Wald geboren, hat sie nach Mittelschule, Vorkurs an der Schule für Gestaltung und Studium der Kunstgeschichte in Florenz bereits 1978 als freischaffende Malerin zu ­arbeiten begonnen, mit einem Atelier in Winterthur. 1982 kam sie nach ­Zürich, zunächst an die Kreuzstrasse, danach war sie in der Altstadt, hatte sie von 1986 bis 1999 ein grosses Atelier im Benteli-Haus an der Blaufahnenstrasse. Hier hat sie erstmals ihre Lebensform erprobt: das Atelier als Werk- und Lebensraum. Hier hat sie gelebt, gearbeitet, Feste gefeiert. Nach zwei Jahren im Seefeld war sie von 2011 bis 2017 in Stäfa, wo sie ein rie­siges Atelier hatte, mit 400 Quadratmetern Fläche, das gleichzeitig Galerie und Wohnraum war. Heute misst ihr Atelier immerhin noch 240 Quadratmeter, verteilt auf drei Etagen: Im Obergeschoss ist Ausstellungsraum, etwa halb so gross wie das Erdgeschoss, das Untergeschoss dient als Lagerraum. Sie wohnt mit ihrem Partner in Feldmeilen.
Wie es sich wohl anfühlt, als erfolg­reiche Künstlerin? «Es ist ein ewiger Krampf, ich muss durch alle Niederungen, bei jedem Bild», kommt die überraschende Antwort. Bestätigung erhalte man über den Verkauf, was bei ihr allerdings nicht mehr ganz zutreffe. Etwa seit 1990 kann sie von der Malerei leben, wobei sie immer auch anderes gearbeitet hat. So hat sie ­lange für die Zeitschrift «gdi-impuls» des Gottfried-Duttweiler-Instituts als Art Director gearbeitet (1985 bis 1999), Bilder ausgewählt und selber ­illustriert. Ebenso war sie tätig für den Versus Verlag, ein Wirtschaftsverlag, für den sie Buch-Covers und Illustrationen gemacht hat, bis 2011.

Eigener Stil
Ihre erste Ausstellung hatte sie 1978. Dann sei sie durch die Landschaft getingelt und 30 Ausstellungen in kleineren Galerien und 10 Jahre später sei so etwas wie ein eigener Stil erkennbar gewesen.
Zum eigenen Stil zu kommen ist ein Prozess. Als ihre Vorbilder bezeichnet Susanne Keller Goya und Francis Bacon. Doch da waren lange Jahre des Suchens. Talentiert seien fast alle, sagt sie, doch ausschlaggebend sei, was man mit der Begabung mache. Es sei ein Kampf um die eigene Sprache, die eigene Form. In die Wiege gelegt werde einem vielleicht der Impuls, aber man komme nicht darum herum, hart zu arbeiten. Deshalb auch die klaren Öffnungszeiten: «Ich muss arbeiten, kann keine Kaffeekränzchen abhalten. – Wenn man etwas sagen will, es nicht nur Attitüde ist, dann muss man es bringen, über Jahre.»

Treue Kundschaft
Ihre Kundschaft pflegt sie, und sie hat teilweise persönliche Bindungen zu Kunden, die vor bald dreissig Jahren erstmals etwas von ihr gekauft haben und ihr treu geblieben sind. Die beispielsweise wieder kommen, wenn sie ein neues Büro beziehen oder die mit ihren erwachsenen Kindern kommen. «Das gibt mir das Gefühl, ich werde getragen von ihnen. Es ist eine alte Form von Fangemeinde, Leute, die mitgehen und neugierig bleiben.»

Grosse Ausstellungen und Aufträge
Als die Papierfabrik Utzenstorf ein neues Verwaltungsgebäude errichtete, wurde Susanne Keller eingeladen, eine Ausstellung zu machen zur Eröffnung. Es gab eine riesige Eröffnungsfeier, die auch Vernissage war und nach der Vernissage trugen sämtliche der von ihr ausgestellten Bilder einen roten Punkt. Das war 1991, es war der Beginn einer Serie von guten Jahren mit Ausstellungen und Aufträgen in Deutschland, Frankreich, Chicago.
Auch hierzulande hat sie schöne Aufträge erhalten, etwa für den Hauptsitz der Zürcher Kantonalbank und für ­Filialen der ZKB, oder für die Bank Vontobel. Dazu kommt eine Installation für das Landesmuseum. Ebenso konnte sie für das Hotel Widder Bilder malen für acht Suiten. Den Auftrag vermittelt hat ihr die Architektin Tilla Theus, von der weitere Aufträge folgten: für das von Tilla Theus umgebaute Hotel Bellerive au Lac und für das ebenso von ihr neu gestaltete Gran ­Café Motta am Limmatquai.
Es gab auch schwierige Zeiten, etwa die Jahre nach dem Bankencrash, von 2008 bis etwa 2011. Plötzlich war ­weniger Geld vorhanden, das war in der Kunst sofort spürbar. Doch sie hat ihre grossen, teuren Ateliers, finanziert über die Kunst, gehalten. Das war ihr wichtig, diese Lebensform weiterzuführen. Dafür hat sie Einbussen beim Lebensstil in Kauf genommen. Anders als Kunst als Anlageobjekte an der Spitze der Pyramide und Kunst als Dekoration an der Basis hat es das mittlere Segment bis heute schwerer als früher. Das hat sich auch ausgewirkt auf die Galerien, von denen viele in den letzten Jahren schliessen muss­ten. Es gibt einen Markt für Kunst, aber der ist kleiner geworden. – Bilder von Susanne Keller kosten übrigens zwischen 150 (im Postkartenformat) und 50 000 Franken.

Atelier und Lebensraum
Wir sitzen am langen Tisch im hinteren Teil des länglichen Raums, nebenan ist eine kleine Küche. Hier war vor Jahrzehnten der Spielsalon Frosch, die Deckenspots stammen noch aus dieser Zeit. Die letzten 26 Jahre war da Gerhard Zähringer mit seinem Antiquariat und Galerie, bis er kündigte, mit 68 Jahren. Der Raum ist über drei Meter hoch, die Gestelle von Susanne Keller reichen bis zur Decke und tragen ihre vielen Bücher, aber auch Objekte und persönliche Gegenstände, ein Konvolut, das zu ihr gehört. Der Tisch ist mit einem kräftigen Papier abgedeckt, das bemalt ist; er ist auch Arbeitsfläche und kann leicht Farbe abbekommen. Einige Bilder in Postkartengrösse sind gerade in Arbeit, das grosse an die Wand in der eigentlichen Arbeitsecke gelehnte Bild leis­tet noch Widerstand. Die Meisterin ist noch nicht zufrieden und unschlüssig, wie sie mit ihm weiterfahren soll.

Etwas zur Malerei
Was ist denn eigentlich ihr Stil, wie könnte man ihn benennen? Gegen eine solche Kategorisierung wehrt sich die Künstlerin zunächst, weil es nie ganz trifft. Immerhin lässt sie sich einiges entlocken. Sie betreibt Malerei als Handwerk, ihre Bilder sind mit Acryl auf rohe Leinwand gemalt, mit dem Pinsel. Sie sind nicht gespritzt, noch verwendet sie Schablonen, sie sind weder gestisch noch minima­listisch. Sie sind Schicht um Schicht erarbeitet. Und könnten mit Colour-Field-Malerei in Verbindung gebracht werden, mit der Malerei von Mark Rothko, der monochrom malte.
«Doch», wir stellen uns vor ein Bild von ihr, «das scheinbar Monochrome zeigt Vermischungen, es gibt eine Dramaturgie im Bild, es hat Licht, Schatten, Hell, Dunkel. Es hat Rot, blasses Grau, Rosa, viele Farben!» Das mag die fas­zinierende Wirkung mit erklären, die von ihren Bildern ausgehen. Emotionale Räume sind es, die Susanne Keller interessieren. Man könne sich das vorstellen wie ein Märchen, wie wenn man in einem Wald ist und von diesem verschlungen wird. «Es sind Erfindungen, nichts Realistisches. Es geht immer um Gefühl, nie um eine Abbildung von etwas. Ein Gefühl, das zum Leben gehört und einem gut tut. Es kann ein Schutz sein, für jemand anderes aber auch bedrohlich wirken.»

Elmar Melliger


Atelier Susanne Keller, Froschaugasse 5, geöffnet Samstag 13 bis 16 Uhr oder nach Vereinbarung, Tel. 079 417 24 38.