Gelungenes und Gewagtes

Die neue Dauerausstellung «Die Sammlung» im renovierten Westflügel des Landesmuseums konnte im vergangenen Oktober eröffnet werden. Dies nach zwei Jahre dauernden anspruchsvollen Sanierungsarbeiten.

Den Architekten Christ & Gantenbein sowie dem Atelier Brückner, das bereits die Archäologie-Ausstellung im Neubau gestaltet hatte, boten sich beim Umbau dieses denkmalgeschützten Museumsteils ganz besondere Schwierigkeiten. Die über hundert Jahre alte Raumhülle war den geltenden Vorschriften von Erdbebensicherheit und Brandschutz anzupassen, ihre Tragfähigkeit musste verbessert werden, und es galt, die Installationen für die den heutigen musealen Anforderungen entsprechende Elektroinfrastruktur, für den Schutz der Objekte und das Klima so zu erneuern, dass sie nirgends sichtbar sind.
Dazu wurden alle historischen Zimmer in ihre Einzelteile zerlegt und, gleichzeitig mit den Bauarbeiten am Haus, von den Konservatoren im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis gereinigt, wo nötig restauriert und zum Wiedereinbau bereitgemacht. Seit der Einrichtung der Räume am Ende des 19. Jahrhunderts war es zum ersten Mal möglich, die Täfer gründlich zu untersuchen, was zum Teil neue Erkenntnisse über deren Materialien, Entstehung, Zusammensetzung und Anpassungen an die räumlichen Gegebenheiten des Museums erbrachte.

Rückkehr zu den Ursprüngen
Ziel der Architekten war es, den Westflügel weitgehend in den Originalzustand von 1898 zurückzuführen. Die Abfolge der historischen Zimmer im Parterre und ersten Stock, welche die Jahrzehnte unbeschadet überstanden hatten, konnte unverändert übernommen werden, wie es die Denkmalpflege gefordert hatte.
Massive Einbauten im Zuge der Modernisierung des Museums im letzten Jahrhundert hatten dagegen bei anderen Teilen des Westflügels zur Folge, dass Gustav Gulls Architektur nicht mehr zu erkennen war. Der Rückbau dieser Eingriffe führte zur Rekonstruktion der originalen Böden aus farbigen Keramikfliesen, zur Freilegung von Lichthöfen und Öffnung von zugemauerten Fenstern. Auch übertünchte Deckenmalereien konnten nach den Vorlagen von Fotografien aus den Anfängen des Museums wieder sichtbar gemacht werden. Die vielgelobte Rückkehr zu den Ursprüngen des von Gull entworfenen Museums schuf neue Lichtführungen, Raumerlebnisse und Durchblicke; sie betrifft vor allem die erwähnten Interventionen am architektonischen Rahmen.

Abkehr vom chronologischen Ablauf
Bei der Präsentation der Objekte hielten sich die Gestalter dagegen nur an wenigen Orten an den frühesten Gullschen Ausstellungplan, der einem strikten chronologischen Ablauf gefolgt war. An diesen erinnert etwa die Präsentation der Altäre und Heiligenfiguren in der unteren Kapelle, wo wie einst Hauptstücke der Sammlung sakraler Kunst stehen, darunter die Altäre aus Raron und Gandria und der romanische Palmesel aus Steinen. Der benachbarte Kreuzgang bildet dazu einen starken Kontrast. Die bewusste Gegenüberstellung von verschiedenen Baustilen anhand der originalen Bogenreihen aus den Kreuzgängen von zwei Zürcher Klöstern ist nun verstellt mit einer Galerie von Männer-, Frauen- und Kinderbildnissen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert, die nicht recht zur mittelalterlichen Architektur passen wollen.
Die Mellinger Ratsstube und die Räume der Fraumünsterabtei markieren den Beginn der altbekannten Raumfolge der historischen Zimmer im Erdgeschoss und ersten Stock des Westflügels. Auch wenn deren Raumhüllen nicht angetastet wurden, fällt auf, wie unterschiedlich die Gestalter mit der Ausstattung der Räume umgegangen sind. Gulls Idee, in den historischen Zimmern mit einigen zeittypischen Möbeln die Wohnsituationen vergangener Epochen erlebbar zu machen, wurde nur an wenigen Orten, in der sogenannten Helfenstein-Stube des Fraumünsterklosters und in der gemütlichen Schlafstube aus dem Schlösschen Wiggen bei Rorschach, wieder realisiert. Einige Räume dienen nun als Rahmen zur Präsentation von thematisch geeigneten Einzelobjekten oder kleinen Objektgruppen: Im einst als Trinkstube dienenden Ratssaal aus Mellingen sind jetzt die vergoldeten Becher, Schalen, Trinkspiele und Tischaufsätze aus verschiedenen Jahrhunderten zu sehen, und die Leinenstickerei mit der Gründungslegende des Fraumünsterklosters passt gut in die von der Äbtissin Katharina von Zimmern erbauten Gemächer der Abtei.
Im Gegensatz dazu wurde in der oberen Kapelle auf einen Zusammenhang zwischen Ausstattung und Architektur verzichtet: Die schon lange nicht mehr vorhandene ursprüngliche Einrichtung der Kapelle als Sakralraum mit Kanzel, Chorgitter, Lesepult und weiteren kirchlichen Objekten wurde nicht wieder hergestellt; in einer Grossvitrine wird dafür eine Auswahl von durchaus profanen Kostümen vom ältesten Männergewand aus dem 17. Jahrhundert bis zu Modellen des modernen Modedesigns von Balenciaga und Christa de Carouge gezeigt.

Elektronische Museumstechnik
Ihren festlichen Charakter haben der Lochmannsaal und die obere Kapelle dank der Freilegung der farbigen Keramikböden zurückerhalten. Besonders frei verfuhr man mit den Wänden der Stube aus dem Zürcher Oetenbachkloster: Deren Holzvertäfelungen waren zur Zeit der Übernahme ins Museum nur noch fragmentarisch erhalten und wurden damals mit Kopien im Stil der originalen Teile ergänzt; einzelne Wandbretter stehen nun, von den Mauern losgelöst, mitten im Raum, versehen mit Informationstafeln, die in Wort und Bild die Sanierungsarbeiten im Westflügel dokumentieren. Mehrere Zimmer wurden möglichst leer gelassen, um ihren eigenständigen Objektcharakter zu betonen: Gewöhnungsbedürftig ist die grossflächige Verspiegelung des Fussbodens im Pestalozzizimmer, die das Betrachten der reichen Kassettendecke erleichtern soll, den sonst harmonischen Raumeindruck aber eher stört. Auch im ausgeräumten Prunkzimmer aus dem Zürcher Seidenhof wird besonders auf den Formenreichtum der kunstvoll gefertigten Wandvertäfelung hingewiesen. In allen Räumen liegen iPads bereit, denen knappe Informationen zur Herkunft und zu bestimmten Einzelheiten zu entnehmen sind. So werden in den Fraumünsterzimmern die figürlichen Flachschnitzereien detailliert erklärt, und im Lochmannsaal sind die Szenen der antiken Mythen und Sagen im Deckengemälde sowie alle 54 Personen der Porträtgalerie mit Kurzbiographien beschrieben. Von den Möglichkeiten elektronischer Museumstechnik wird im Westflügel ausgiebig Gebrauch gemacht. Auch der St. Galler Globus ist jetzt mit kleinen Touchscreens ausgerüstet, in denen die Kugel von allen Seiten vergrössert betrachtet werden kann.

Weitläufig und labyrinthisch
Auf dem Weg zur Ruhmeshalle passiert man die bilderreichen Pfau-Kachelöfen aus dem Zürcher Rathaus von 1698, zwei bedeutende Staatsaltertümer, deren Herkunft leider nirgends erklärt wird, dann das vertikal aufgetürmte Einsiedler Service der Zürcher Porzellanmanufaktur in Kilchberg-Schooren, das «Museum im Museum» der Hallwyl-Sammlung und die vielen hundert Fingerringe der Sammlung Alice und Louis Koch. In der Ruhmeshalle erinnern die an den Schmalseiten rekonstruierten Waffen- und Fahnentrophäen an die ursprüngliche Ausstellung von 1898. Zwei Multimediastationen darunter enthalten Bilder der früheren Ausstattungen sowie Informationen zu den Fresken von Ferdinand Hodler und zu einzelnen Stücken der Installationen. Die sonst frei gehaltene Halle dient in Zukunft der Präsentation von ausgewählten Teilen der Museumssammlung. Noch bis Mitte April wird hier die Sonderausstellung «Games» gezeigt, die der Entwicklung der Videospiele von den Spielhallen bis zu Virtual Reality gewidmet ist und dazu einlädt, sich die Zeit mit den angebotenen Games zu vertreiben.
Die hier gebotene Beschreibung des neuen Westflügels ist nicht vollständig; in der kindergerechten Familienausstellung im zweiten Stock und im etwas entlegenen Trachtenturm sind weitere sehenswerte Räume zu entdecken. – Der Rundgang beeindruckt mit seiner Weitläufigkeit und den ziemlich labyrinthischen Raumverhältnissen, und die Wiederbegegnung mit vielen Hauptstücken zürcherischer Provenienz erinnert daran, dass das Landesmuseum seit jeher auch das historische Museum von Stadt und Kanton Zürich ist.

Matthias Senn

Foto: Daniel Stauch