Fünfzig Jahre Theater Stok

Zum fünfzigjährigen Bestehen des Theaters Stok war die Eröffnung einer Ausstellung im Haus zum Rech geplant. Wie so vieles, hat das Coronavirus auch das zunächst verunmöglicht. Es ist zu hoffen, dass es doch noch gelingt, die Ausstellung zu zeigen.

Das Theater Stok hat wie fast alles andere den Stillstand verordnet bekommen, das Coronavirus hat die Stadt fest im Griff. Wir treffen uns zum Fototermin beim Theater und anschliessend im dazugehörigen Theatermuseum am Sihlquai, wo der Theaterleiter Peter Doppelfeld wohnt. Ein Theatermuseum würde man hier nicht vermuten. Am Sihlquai 252, in einer eher unwirtlichen Gegend, steht das düster wirkende, unscheinbare Haus. Das 140-jährige Gebäude war einst Wohnsitz des Eigentümers der Fabrik auf der anderen Strassenseite. Nichts deutet auf ein Museum hin, erst die Klingel verrät es. Das sei durchaus gewollt, erklärt Peter Doppelfeld. War hier doch die Drogenszene am Letten und bis vor einigen Jahren der Drogenstrich.
Der Theatergründer Zbginiew Stok hat hier mit seiner Partnerin Erica Hänssler gewohnt und gearbeitet. Im Erdgeschoss ist eine Firma eingemietet, die darüber liegenden Stockwerke gehören zum Theatermuseum.
Hinter der Eingangstür betritt man eine andere Welt. Das Treppenhaus ist kunstvoll ausgeleuchtet, Seifenblasen schweben von weit oben herunter. Man reibt sich ungläubig die Augen. Auf Schritt und Tritt ist man begleitet von Zeugen langjährigen Theaterschaffens: alles Teile von Bühnenbildern, Kostümen, Masken von Theaterproduktionen. Wie im Traum steigt man die Stufen hoch.
Im Dachgeschoss gab es in früheren Jahren das Atelierprogramm, gab es zweimal im Jahr Aufführungen und Veranstaltungen. Davon zeugen Requisiten wie eine Kasperlitheaterbühne oder Plüschsessel. Hier wird auf Stellwänden die Geschichte des Theaters Stok von 1984 bis 2019 gezeigt.
Es gibt im Haus ein Ritterzimmer, ein nobel getäferter Raum. Daneben liegt das Musikzimmer, die Wände behangen mit Saiteninstrumenten, Cinellen, Glocken. Im Chambre Séparée sind Handpuppen ausgestellt, ein Geschenk des bekannten «Kasperli-Meier». Zu besichtigen ist das Museum (in normalen Zeiten) übrigens nur auf Anmeldung, geboten wird eine exklusive Führung.

Seit fünfzig Jahren
Am 4. April 1970 hat der 1968 von Polen nach Zürich emigrierte freie Regisseur Zbginiew Stok sein Theater gegründet. Zunächst war dieses an der Leonhardstrasse ansässig, anfänglich mit einem kleinen Ensemble. Nach eineinhalb Jahren erfolgte der Umzug an den Hirschengraben 42. Im ehemaligen Weinkeller, der zuletzt als Lagerraum diente, wird seither Theater gespielt. Ab 1973 war Erica Hänssler (geb. 1947) an der Seite des Theatergründers. Er bildete sie zur Schauspielerin aus, sie blieben ein Paar bis zu dessen Tod 1990.
Peter Doppelfeld (geb. 1959), der heutige Theaterleiter, betrat 1976 zum ersten Mal das Theater Stok, als ein Stück von Samuel Becket gespielt wurde, wie er sich erinnert. Er fand das Theater Stok spannend und besuchte es fortan regelmässig.
Stok und Hänssler pflegten eine Arbeitsteilung, indem er für Regie und Technik zuständig war, währenddem sie die Stücke schrieb und die Masken anfertigte. Mit einigen Produktionen waren die beiden in den 1970er- und anfangs 1980er-Jahren auf Auslandtournee, als es erst wenige freie Theatergruppen gab.
1992 stiess Peter Doppelfeld dazu. Erica Hänssler und er wurden ein Paar und führten das Theater fortan gemeinsam.
 Vielseitige Aufgaben
In diesem Kleintheater teilt man sich in die Aufgaben, es gilt Dramaturgie, Regie, Bühnenbild, Kostüme, Licht, Ton und schliesslich die Kasse abzudecken. Erica Hänssler übernahm bei den Soloproduktionen den künstlerischen Teil, war der kreative Kopf, während Peter Doppelfeld die Technik bediente und – er hat eine kaufmännische Ausbildung – das Administrative besorgte sowie zunehmend auch Rollen im Stück übernahm. Aus der Not haben die von Subventionen nicht Verwöhnten eine Tugend gemacht und rundum alles selbst an die Hand genommen, für alles andere war schlicht zu wenig Geld vorhanden. Seit den 1990er-Jahren ist das Theater mehrheitlich ein Gastspielort. Jährlich eine oder zwei Eigenproduktionen oder auch mal eine Co-Produktion sind möglich.

Abwechslungsreiches Programm
Anfangs 2016 starb Erica Hänssler nach langer Krankheit und Peter Doppelfeld stand allein da mit dem Theater, das er bereits in den Monaten davor als reine Gastspielstätte betrieb. Als treue Gäste kennt das Theater übrigens La Lupa, die «Oper im Knopfloch», das Theater 58 oder den Musiker Pierre Favre. Daneben gibt es Einzelabende wie viermal jährlich «Musik und Wort» von Eriko Kagawa. Gerade für am Anfang ihrer Karriere stehende Künstlerinnen und Künstler anerbietet sich das Theater Stok als geeigneter Auftrittsort. An manchen Montagen finden Lesungen und Buchvernissagen statt. Es ist möglich, den Theaterraum für eine private Feier zu mieten, die Chancen sind allerdings eher gering. Denn das Theater Stok hat einen Leistungsauftrag der Stadt und zudem sind die Termine für Gastspiele jeweils weit im Voraus gebucht. – Seit 2016 steht Peter Doppelfeld auch allein auf der Bühne, wobei er jeweils mit einem Regisseur zusammenarbeitet. Zuletzt war das der Fall im September und Oktober 2019 mit dem Stück «Ich verheddere mich in der Liebe».
Vor zwei Jahren hat Peter Doppelfeld seine heutige Partnerin Chrigle Steybe zum ersten Mal getroffen. Er fragte sie, ob sie die Ausstellung zum Jubiläum kuratieren würde. Sie hat mit Freude zugesagt. Für sie – in der Altstadt bekannt unter anderem durch ihre frühere Mitarbeit beim Altstadthaus oder als Sängerin der Gruppe «Chaiselongue» – sei das Theater und die Altstadt wie ein
Nach-Hause-Kommen, wie sie sagt. Sie hilft auch begeistert mit im Theateralltag. Die Vernissage der Ausstellung im Stadtarchiv im Haus zum Rech am Neumarkt 4 hätte am Freitag, 17. April 2020 stattfinden sollen, was das Coronavirus leider verunmöglicht. Die mögliche Dauer der Ausstellung wurde inzwischen verschoben vom 17. Juli auf Ende August. Das Startdatum ist leider noch nicht bekannt.
So bleibt zum Schluss noch dies zu sagen: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!

Elmar Melliger