«Ich habe mich sehr wohl gefühlt»

Ueli Greminger, Pfarrer am St. Peter, geht in Pension. Der Altstadt Kurier hat ihn zum Gespräch getroffen.

Nach 13 Jahren als Pfarrer am St. Peter gehen Sie Ende Januar 2021 in Pension. Was geht Ihnen durch den Kopf, wie fühlen Sie sich dabei?
Es ist traurig, ausziehen zu müssen. Weg vom Pfarramt am St. Peter, von der Tätigkeit, vom Wohnort an der Peterhofstatt: Es ist ein Exodus von Beruf und Haus. Ich habe mich sehr wohl gefühlt. Es ist ein wunderbares Pfarramt, im Quartier, im Dorf, mit Bekannten. Das fällt weg. Aber ich spüre auch eine Genugtuung: Es ist ein Privileg, bis 65 arbeiten zu dürfen, gebraucht zu werden.

Wie haben Sie die Kirche St. Peter als Pfarrer geprägt?
Unscheinbar, doch wichtig war mir immer der Gottesdienst am Sonntagmorgen. Dann habe ich zusammen mit Ursula Caflisch die Sammlung Johann Caspar Lavater im dritten Stock des Lavaterhauses aufgebaut. Im Reformationsjubiläum haben wir am St. Peter das humanistische Erbe der Reformation betont. Es ist ein wesentliches Merkmal der Zürcher Reformation, dass sie vom humanistischen Geist von Erasmus von Rotterdam beeinflusst wurde. Wir haben am St. Peter das Erasmusjahr 2017 ausgerufen, einen Stationenweg in der Kirche eingerichtet, mit den Turmgesprächen begonnen, Dialog-Gottesdienste in der Kirche veranstaltet. Der Dialog-Stuhl vor der Kirche steht als Symbol für den humanistischen Geist.

Ihr Interesse galt unter anderem Lavater. Welche Bedeutung kommt ihm zu?
Lavater war der bedeutendste Pfarrer des 18. Jahrhunderts in Zürich. Mit Werken, Ausstrahlung, Wirken und seinen Predigten war er ein Prominenter auf europäischer Ebene. Er hat sich inszeniert, hat grosse Empfänge veranstaltet, Fürsten kamen aus halb Europa. Er war ein Kommunikator, Seelsorger, Lebensberater, ihn verband eine Freundschaft mit Goethe. Er hat einen Freundschafts- und Geniekult gepflegt. Besonders bekannt wurde er mit seiner Beschäftigung mit der Physiognomik.

Wie setzt sich das St.-Peter-Publikum zusammen, wie viele Personen besuchen die Sonntags-Gottesdienste?
Es kommen einige Leute vom Quartier, die Mehrheit jedoch kommt von der Stadt und der Agglomeration. – Vor der Coronazeit waren das an einem gewöhnlichen Sonntag durchschnittlich 50 Personen – bei 700 Plätzen – manchmal weniger, manchmal mehr.

Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche, der Kirche St. Peter?
In der Entwicklung zur Kirchgemeinde Stadt Zürich konnten wir uns am St. Peter als Kirche der liberalen Theologie profilieren. In den letzten Jahren ist es gelungen, den alten Gemeindeverein St. Peter auszubauen zum heutigen Verein St. Peter. Wir haben versucht, ihn mit Kollektivmitgliedern aus dem Quartier in der Umgebung zu verankern. Wir haben versucht, die Quartier-Player wie Rennweg-Quartier-Verein, Einwohnerverein, Kantorei, Geschäftsvereinigung Rennweg einzubeziehen. – Ich sehe die Zukunft der Kirche St. Peter in einer Mischung von Tradition und Innovation. Sie wird die Kirche der Zürcher Zünfte bleiben und sie ist auch ein Raum für Experimente wie etwa das Projekt «Werktags in der Kirche». – Dass es das Pfarramt am St. Peter weiterhin gibt, ist eine grosse Genugtuung für mich.

Was gehörte eigentlich zu Ihren Aufgaben?
Einen Schwerpunkt bildeten die Gottesdienste, mitsamt den Taufen, Trauungen und Abdankungen. Eine Besonderheit am St. Peter ist das Zusammenspiel von Wort und Musik, wobei die wunderbare Akustik des Kirchenraums eine Rolle spielt. Ein zweiter Schwerpunkt war die Seelsorge. Die Teilnahme am Leben im Quartier war mir wichtig. Das hat begonnen mit dem Quartierbrunch auf dem Lindenhof am 1. Juli 2007 gleich nach meinem ersten Gottesdienst, sodann war ich in den ersten Jahren fleissig an den Adventskalenderanlässen unterwegs. Ich habe probiert, Zugang zur Geschäftswelt zu finden, indem ich zum Beispiel Weihnachtskarten verteilt habe in den Geschäften. Das hat schöne Kontakte ergeben – zum Teil wurde ich schräg angeschaut. Ich habe am Rämibühl Religionsunterricht erteilt. Das Weihnachtskrippenspiel mit Kindern aus dem Quartier habe ich immer mit grosser Freude inszeniert. Dieses Jahr sind wir nur bis zur Hauptprobe gekommen, wegen Corona…

Daneben haben Sie Bücher geschrieben. Wie sind Sie dazu gekommen?
Viele Menschen haben Interesse an religiösen Fragen, nehmen aber nicht mehr teil am gottesdienstlichen Leben. Ich habe versucht, auch diese zu erreichen. Meine Bücher drehen sich immer auch um religiöse Fragen. Mir wurde dabei bewusst, dass das Interesse an Religion auch eine Form von Religiosität ist. Lesen ist eine Form davon.

Was waren das für Bücher?
Das waren zunächst Biographien über Lavater und Sebastian Castellio. Über Erasmus von Rotterdam und Leo Jud habe ich in der Form des Dialogs geschrieben. Zuletzt kam «Der letzte Zug», ein theologischer Krimi.

Seit 2017 gibt es die sogenannten Turmgespräche. Was darf man sich darunter vorstellen, worum geht es dabei?
Die Gespräche finden 40 Meter über dem Boden statt, in der Turmstube des St.-Peter-Turms, David Guggenbühl hat die Moderation. Sie finden einmal pro Monat statt und dauern eine Stunde. Angefangen haben wir mit einem Gast und einer Gruppe von einem Dutzend Personen. Seit der Coronakrise sind jeweils der Gast, der Moderator und ich zugegen. Die Gespräche kann man sehen unter www.turmgespraeche.ch.

Sie haben die Transformation des Gemeindevereins zum heutigen Verein St. Peter begleitet. Könnten Sie dazu etwas sagen?
Wir haben den alten Gemeindeverein ausgebaut, mit einem neuen Vorstand und Annina Hess als Präsidentin, haben den Verein näher am Quartier platziert. In der Kirche sind alle auf dem Rückzug, wir sind in einer restaurativen Phase. Dadurch, dass der Verein überkonfessionell organisiert ist, geben wir Gegensteuer. Es ist kein kirchlicher Verein, aber die Kirche St. Peter ist Teil des Vereins.

Wie hat sich die Kirche St. Peter verändert seit den neuen Strukturen mit der Kirchgemeinde Zürich und dem Kirchenkreis eins Altstadt?
Es gibt ja keine Kirchenpflege St. Peter und keine Kirchgemeinde St. Peter mehr. Sie ist nunmehr eine ideelle Grösse. Für die Leute hat sich nicht viel geändert. Das Lavaterhaus ist die Zentrale des Kirchenkreises eins Altstadt geworden. Weiterhin gibt es im Lavaterhaus die Bücherstube, es gibt die Sammlung Lavater und es finden diverse interne und externe Veranstaltungen statt. Es ist mit Leben gefüllt.

Was war für Sie schwierig, was besonders erfreulich in Ihrer Zeit am St. Peter?
Schwierig: Die Kirche steht im gesellschaftlichen Gegenwind, sie hat zunehmend einen schweren Stand. Es weht uns ein rauer Wind entgegen. Den habe ich auch als Pfarrer am St. Peter zu spüren bekommen. Es gibt viele Kirchenaustritte. In Zürich ist die Zahl der Kirchenmitglieder im Rückgang, auch wegen der veränderten Bevölkerungsstruktur. Die Zuwanderung von Katholiken ist grösser. Die Kirchgemeinde Zürich ist eine Anpassung an diese Situation. In der Altstadt sind wir besser dran wegen der Zentrumsfunktion.
Positiv: Es war eine schöne Aufgabe, die liberale Tradition am St. Peter weiterzuentwickeln. Ich konnte auf einer guten Zusammenarbeit in der Behörde, im Verein St. Peter und im Team St. Peter bauen. Die Spannung von Tradition und Innovation fand ich immer kreativ.

Zuletzt natürlich die Frage: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich will mir die Zeit nehmen, mich neu zu orientieren. Dann werde ich endlich Zeit für mein Hobby haben, das Imkern. Schön wäre ein Projekt «Bienen in der Altstadt». Dazu müsste ich noch ein ungenutztes, begehbares Dach finden. Dann habe ich vor, mich mehr zu bewegen, ausgiebig zu lesen. Ob ich weiter schreiben werde, weiss ich noch nicht. Und ich freue mich auf die Entlastung von der grossen Verantwortung, die ich als Pfarrer hatte. – Jedenfalls war es eine gute Zeit.

Interview: Elmar Melliger


Der Abschiedsgottesdienst vom Sonntag, 31. Januar 2021 kann direkt gestreamt oder später angeschaut werden auf www.altstadtkirchen-live.ch.
Dasselbe gilt für die musikalische Lesung «Der letzte Zug» von Samstag, 30. Januar, 17 Uhr im St. Peter.

Zur Person
Ueli Greminger, geb. 1956, ist in Uitikon-Waldegg aufgewachsen. Nach dem Theologiestudium war er 23 Jahre Pfarrer im Zürcher Weinland, in Henggart (wo er beim Pfarrhaus einen kleinen Rebberg anlegte). 2007 wurde er Pfarrer am St. Peter. Er ist verheiratet und Vater von vier Töchtern.

EM