Schauplatz Brunngasse

Die mittelalterlichen Wandmalereien im Haus «Zum Brunnenhof» an der Brunngasse 8 werden der Öffentlichkeit besser zugänglich gemacht (Altstadt Kurier, August 2019). Sobald die Corona-Situation es erlaubt, kann die Stätte während der Öffnungszeiten unangemeldet besucht werden.

«Es ist ja kein Museum im eigentlichen Sinn», erklärt Dölf Wild. Denn zum Wesen eines Museums gehört, dass es eine Sammlung hat, dass es Objekte zeigt. Beides ist beim ursprünglich als Kleinmuseum Brunngasse 8 bezeichneten Projekt nicht der Fall. Vielmehr geht es um eine Stätte aus dem Mittelalter, um einen Originalschauplatz, der gezeigt wird. Und so war es nicht mehr weit zum neuen Namen «Schauplatz Brunngasse».
Wir stehen in der früheren Wohnung im ersten Obergeschoss des Hauses «Zum Brunnenhof» an der Brunngasse 8. Hier wurden bei Renovationsarbeiten vor 25 Jahren Wandmalereien aus dem Mittelalter entdeckt und teilweise freigelegt. Die Fragmente im Treppenhaus, auf der Ostseite, nehmen die grösste Fläche ein. Sie wurden 1996 offengelegt und aufwendig restauriert. Sodann wurde ihnen zum Schutz eine massive Glasscheibe vorgehängt. Diese Wandmalereien gehören zu einem damals rund 80 Quadratmeter grossen quadratischen Saal, der im 14. Jahrhundert von einer jüdischen Familie bewohnt wurde. Die gegenüberliegende Wand des früheren Saals, auf der Westseite also, gehörte zu einer Zweizimmerwohnung. Auch hier stiess man 1996 bei Sondierungen auf Reste der ursprünglichen Wandbemalung, die dann wieder hätten zugedeckt und geschützt werden sollen. Die neue Mieterin der Wohnung jedoch, Silvana Lattmann, verliebte sich sogleich in diese Fresken, wie sie die Wandmalereien nannte, und erreichte bei der städtischen Liegenschaftenverwaltung (heute Liegenschaften Stadt Zürich) sowie Denkmalpflege und Archäologie Stadt Zürich, dass auch diese Malereien gänzlich freigelegt und restauriert wurden, wobei sie die beträchtlichen Kosten dafür übernahm. In den folgenden Jahren konnte sie sich täglich darüber freuen, bis sie 2018 kurz vor ihrem 100. Geburtstag in eine Seniorenresidenz zog.
Dölf Wild, Leiter Archäologie der Stadt Zürich, hatte die Freilegung der Wandmalereien als sein erstes Projekt bei der Stadt Zürich begleitet und als «archäologisches Fenster» etabliert. Somit haben rund 2500 Personen jährlich die Malereien im Treppenhaus im Rahmen von Führungen besichtigen können. Dass diese Wohnung nicht einfach weitervermietet werden konnte, war ihm klar und die Idee keimte in ihm auf: Man müsste die Wohnung als Kleinmuseum nutzen können. Mit dieser Idee gelangte er an verschiedene städtische Stellen und an weitere interessierte Personen und Gruppierungen. Das war 2018/2019.

Wichtiger Zeuge
Heute gibt es dieses Museum, das keines sein will. «Die Vorbereitungsarbeiten waren viel aufwendiger als erwartet», sagt Ron Epstein-Mil (Architekt, Mitglied der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ICZ), der Präsident des Vereins Schauplatz Brunngasse, als dessen Vizepräsident der inzwischen pensionierte Dölf Wild wirkt, und dessen Vorstand weitere Personen angehören.
Es gibt nur wenige jüdische bauliche Zeugen aus dem Mittelalter, die erhalten geblieben sind. Als solcher haben die Wandmalereien an der Brunngasse ein weltweites Echo ausgelöst, um die 40 Publikationen hat es dazu gegeben. Dass man sie nun prominenter zeigen kann, ist vor allem das Verdienst von Dölf Wild und Ron Epstein, die in unzähligen Stunden ehrenamtlicher Arbeit das Projekt vorangetrieben haben. Nicht ohne Stolz können sie melden, dass der Schauplatz Brunngasse von städtischer wie kantonaler Seite finanziell unterstützt wird, womit die Betriebskosten vorläufig gedeckt sind. Neu konnte mit dem Kunsthistoriker Thomas Gamma jemand eingestellt werden, der den Präsenzdienst übernimmt, Führungen macht und als Geschäftsführer wirkt.

Bedeutende Befunde
Die reichhaltigen, farbigen Wandmalereien werden um 1330 datiert. Sie zeigen in ihren grossen Flächen eine Tanzszene und Szenen zur Falknerei, Motive aus der damaligen Kultur im Umfeld des höfischen Minnesangs. Zur gleichen Zeit ist in Zürich auch die Manessische Liederhandschrift entstanden. Über den grossflächigen Szenen läuft ein Wappenfries. Unter diesen Wappen steht in hebräischer Schrift der jeweilige Familienname angeschrieben. Diese Schriftzeichen gehörten zur Vorzeichnung der Malerei und dienten als eine Art Platzmarke für den ausführenden Maler, wo welches Wappen zu malen sei, wie nachgewiesen werden konnte.
Das ist eine Sensation: Der Nachweis, dass dieses Haus einer jüdischen Familie gehörte, welche diese Malereien in Auftrag gab. Die Wappen sind noblen Familien zuzuordnen bis hin zum Grafen von Luxemburg, mit denen die Hauseigentümer wohl Geldgeschäfte trieben. Das Haus gehörte Minne und ihren Söhnen Moses und Mordechai ben Menachem. Erster war bekannt als Rabbi Moses, der Autor des «Zürcher Semak», einem Kommentar jüdischer Gesetze. Beide waren zusammen mit ihrer Mutter auch im Geldgeschäft tätig, wozu die Juden in Zürich verpflichtet wurden, weil dies den Christen untersagt war. Damit sind sie offensichtlich zu Reichtum gelangt. Zur Zeit des grossen Pestausbruchs in Zürich, 1348/49, wurden die Juden der Brunnenvergiftung bezichtigt und aus der Stadt vertrieben oder umgebracht. Als Nebeneffekt wurde man auf diese Weise seine Schulden bei den Kreditgebern los.

Pädagogischer Anspruch
Sobald es die Corona-Situation zulässt, wird der Schauplatz Brunngasse zu besichtigen sein, jeweils Mittwoch bis Freitag von 13 bis 17 Uhr. Eine kluger baulicher Eingriff macht den Raum in seiner ursprünglichen Grösse erfahrbar: Zwei Glastüren nämlich gestatten den Blick vom Treppenhaus in die frühere Wohnung.
Die Malereien wurden in den vergangenen Monaten gereinigt und neu dokumentiert. Eine neue Beleuchtung wird das Ganze in ein besseres Licht rücken. Im Übrigen sind die Promoter des Schauplatzes Brunngasse nach wie vor an der Arbeit, was die zu vermittelnden Inhalte anbelangt. Sobald die Finanzierung gesichert ist, geht es an die audiovisuelle Umsetzung, womit eine darauf spezialisierte Firma beauftragt wird.
«Wir haben auch einen pädagogischen Anspruch. Es ist gewünscht, dass etwa Schulklassen den Schauplatz besuchen», sagt Dölf Wild. Ron Epstein ergänzt: «Wir möchten Vorträge halten, die Forschung zur Brunngasse anstossen. Und es gibt eine politische Dimension, dabei geht es um das Verhältnis des Umgangs der Gesellschaft mit Minoritäten.»
Und die beiden geraten wieder ins Schwärmen: «Das ist ganz zentral: Dies ist ein Ort auf der Nahtstelle der jüdischen und der Zürcher Kultur im Mittelalter!»

Elmar Melliger


Schauplatz Brunngasse, Brunngasse 8, Tel. 044 223 55 96, www.schauplatz-brunngasse.ch. Geöffnet Mittwoch bis Freitag von 13 bis 17 Uhr.
Es werden Führungen angeboten.