Dankbarkeit und Zuversicht

Niklaus Peter, Pfarrer am Fraumünster, geht in Pension. Der Altstadt Kurier hat ihn zum Gespräch getroffen.

Nach 16 Jahren als Pfarrer am Fraumünster gehen Sie Ende Juni 2021 in Pension. Was geht Ihnen durch den Kopf, wie fühlen Sie sich dabei?
Ich empfinde eine grosse Dankbarkeit: So eine schöne Stelle in so einer schönen Kirche in der Altstadt zu bekommen ist ein Geschenk. Es bietet eine super Plattform, zu so vielen zu reden. Und es hat eine tolle Orgel und einen guten Organisten. – Andererseits habe ich Respekt vor dem Wechsel. Plötzlich ist diese Rolle, diese Plattform nicht mehr da. Man muss sich neu erfinden. Bisher hatte ich viele Aufgaben, nun muss ich den Tagesablauf selber gestalten.

Welche Veränderungen in der Altstadt haben Sie während Ihrer Zeit hier beobachtet?
Es gab viele Wechsel bei Geschäften. Die grösste Veränderung für mich war sicher die Umnutzung des Münsterhofs, woran ich selber beteiligt war, ich habe ein erstes Konzept geschrieben. Der Platz ist wie eine Bühne. Hier hat die Fürst-Äbtissin den König empfangen, hier hat Churchill gesprochen… Er wurde vom Parkplatz wieder zum Kulturplatz. Er ist mit Geschichte verknüpft wie wenige andere Plätze. Das ist eine Veränderung zum Guten.

Jede der vier Altstadtkirchen pflegt einen eigenen Stil, hat eine Ausrichtung. Wie würden Sie das Profil des Fraumünsters umschreiben?
Es geht hier um klassische und konzentrierte Wort-Gottes-Theologie. Die Auslegung der kirchlichen Botschaft steht im Zentrum, mit klar reformiertem Profil. Verbunden mit intensivem Zusammenspiel von Wort und klassischer Kirchenmusik. Verbunden mit den Namen Emil Brunners und Karl Barths (übrigens der Grossvater meiner Frau Vreni). Die Gottesdienste und die Predigt haben eine ganz wichtige Funktion. Ohne Mätzchen, ohne Show.

Wie haben Sie das Fraumünster als Pfarrer geprägt? Was war Ihnen besonders wichtig?
Ich habe immer versucht, ein hohes Niveau in Predigt und Liturgie hineinzubringen, ohne verkopft und kompliziert zu sein. Habe versucht, mit sprachlicher Sorgfalt kulturelle Bezüge zu schaffen. Ein Beispiel: Das Schauspielhaus hat einen Teil des Faust im Fraumünster aufgeführt, am Ostersamstag im Nachtgottesdienst. Am Ostersonntag habe ich dann darauf Bezug genommen.

Ist das jetzt nicht gerade Show und Ablenkung, die sie vermeiden wollen?
Nein, weil es um die entscheidende Szene ging: Faust ist verzweifelt, will Suizid begehen. Da hört er Glockenklang und Chorgesang. Das Gift an den Lippen, holt ihn die Erinnerung ins Leben zurück. Und das Drama des Lebens geht los… – Wie er vor dem Suizid bewahrt wurde: Das hat Platz im Fraumünster.

Was gehörte eigentlich zu Ihren Aufgaben?
Neben den Gottesdienten führte ich viele, viele Gespräche. Aufgrund der Gottesdienste kamen Menschen zu mir, mit ihren Sorgen. Es ging um Seel-Sorge. Ausserdem war ich je sechs Jahre Vizedekan und Dekan der Stadt Zürich. Und wir haben viele Abende veranstaltet, Bildungsveranstaltungen in kirchlicher Erwachsenenbildung, mit Vorträgen. Wir haben mit Jungen Filme diskutiert.

Wie setzt sich das Fraumünster-Publikum zusammen, wie viele Personen besuchen normalerweise die Sonntagsgottesdienste?
In normalen Zeiten, ohne Corona, besuchen etwa 250 Personen die Gottesdienste. An Weihnachten konnten das bis zu 750/800 Personen werden, sodass wir noch Stühle aufstellen mussten. – Ich habe mal mit Fragebogen erhoben, woher die Leute stammen. Da kamen 50 Prozent aus der Stadt, 42 Prozent aus dem Kanton Zürich, einige Prozente kamen von weiter her oder waren Touristen. Es waren katholische Mitchristen darunter und Juden. Ein eher älteres Publikum, aber nicht nur Senioren. Das Publikum war querbeet, neben Gutbürgerlichen auch Leute aus bescheidenen Verhältnissen. Eine ältere Frau kam jeden Sonntag von Romanshorn angereist, bis zu ihrem Tod. Es ist ein grosses Einzugsgebiet.

Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche?
Die Kirche hat eine Zukunft, wenn sie den Mut hat, sich einzugestehen, dass sie nicht mehr eine Mehrheits-, sondern eine Minderheitenkirche wird. Sie soll die theologischen Inhalte nicht verstecken. Die grossartige Botschaft ist der Inhalt unserer Kirche. Man soll sich nicht überall anpassen, alles verwässern, um möglichst nah bei den Leuten zu sein, das ist nicht gut.

Und die Zukunft des Fraumünsters?
Im Hinblick auf das Fraumünster bin ich zuversichtlich. – Wenn die Kirche das Eigene mit Sorgfalt pflegt, wird sie unter veränderten Verhältnissen eine gute Zukunft haben.

Ihr Nachfolger stammt aus der Lutherstadt Wittenberg. Was denken Sie dazu?
Ich empfinde das positiv. Ich habe Johannes Block kennengelernt. Er ist ein differenzierter Theologe und ein guter Prediger. Die Differenzen zwischen lutherischer und reformierter Theologie sind minim. Eine andere Liturgie kann auch befruchtend wirken. – Ich bin zuversichtlich, dass die erfreuliche Geschichte der «Predigtgemeinde Fraumünster» weitergeht.

Einem breiteren Publikum sind Sie durch Ihre Kolumnen im Magazin des Tages-Anzeigers bekannt geworden, die Sie seit Jahren alle zwei Wochen schreiben. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ein im Magazin erschienenes Interview mit mir hatte ein grosses Echo ausgelöst, worauf mir die Chefredaktoren diese Kolumne angeboten haben. Das war im Mai 2017. Ich schreibe diese Kolumnen mit grosser Freude. Will aufmerksam machen auf Themen aus dem Christentum, der Ethik. Und erhalte viel Echo.

Sie haben gerade ein Buch geschrieben, das in diesen Tagen erscheint, «Von Angesicht zu Angesicht». Worum geht es darin?
Es ist eine Sammlung von Leitartikeln für die NZZ, eine Predigtreihe, theologische Aufsätze und eine Fantasie, wie Bullinger im Restaurant «Kindli» sitzt, zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert.

Haben Sie vielleicht noch eine besondere Erinnerung an Ihre Zeit am Fraumünster, eine Anekdote?
Vielleicht dies: Einmal, vor etwa zwei Jahren, bat jemand dringend um ein Gespräch. Er sei derjenige, erklärte der Mann, der in den 1980er-Unruhen einen Stein ins Chagall-Fenster geworfen habe. Er sei in einer schwierigen Situation gewesen damals, mit Drogen. Er wolle nun sein Leben bereinigen, etwas bezahlen an den Schaden. Ich erklärte ihm, dass der Schaden längst von der Versicherung gedeckt worden sei. Aber wenn er etwas tun wolle, könne er wieder in die Kirche eintreten und mittragen.

Zuletzt natürlich die Frage: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich möchte mehr Zeit mit meinen Enkeln verbringen. Ich möchte mehr lesen und schreiben, vielleicht das eine oder andere übersetzen aus dem Englischen. Auch eine längere Reise würde ich gern mal wieder unternehmen. Für all dies mehr Zeit zu finden, darauf freue ich mich.

Interview: Elmar Melliger


Abschiedsgottesdienst: Sonntag, 27. Juni, um 10, 12 und 14 Uhr. Livestream www.altstadtkirchen-live.ch: 10 Uhr. Anmeldung über gdfm@reformiert-zuerich.ch oder Tel. 079 582 06 14; www.fraumuenster.ch.
«Von Angesicht zu Angesicht – Predigten und kleine theologische Texte», Theologischer Verlag Zürich 2021, 148 Seiten, Fr. 17.80.