Zgraggen hört auf
Zuerst am Hirschenplatz, dann an der Stüssihofstatt, hat die Familie Zgraggen seit über vierzig Jahren ihre Metzgerei betrieben. Nun geht diese Ära zu Ende, per Ende Februar 2022 zieht Zgraggen sich zurück. – Immerhin: Es bleibt eine Metzgerei.
Es musste eines dieser Gerüchte sein, die auf einem Missverständnis, auf einer Verwechslung beruhen. Hat doch soeben die Metzgerei Bär am Rennweg den Betrieb eingestellt. Und nun Zgraggen?! Kann nicht sein. «Doch, es stimmt», sagt Fabio Zgraggen, der das Geschäft vor acht Jahren von seinem Vater Othmar übernommen hatte, «Ende Februar ist Schluss.» Gesundheitliche Gründe hätten ihn zu diesem Schritt bewogen. «Jeden Tag von 6 Uhr früh bis 7 oder 8 Uhr abends im Geschäft sein, sechs Tage die Woche, und am Sonntag noch Büroarbeiten erledigen: Das ist zu viel geworden, auf die Dauer.»
Seit 1980
Othmar Zgraggen (1954) hatte früher bei der Metzgerei Ziegler in Oerlikon gearbeitet, welche die Metzgerei der Gebrüder Keppler am Hirschenplatz seit einiger Zeit als Filiale betrieb. Als kurz vor Weihnachten der Filialleiter plötzlich verstarb, musste Othmar Zgraggen dort einspringen. Nebenbei absolvierte er noch eine Handelsschule, die er bald abschloss. Als er sich nach etwas Neuem umsehen wollte, bot Ziegler ihm an, die Filiale an ihn abzutreten. Ein Angebot, das der junge Mann annahm und somit 1980 den Schritt in die Selbständigkeit wagte. Er hatte inzwischen viele Leute kennengelernt und es gefiel ihm im Niederdorf recht gut. In den folgenden Jahren waren er und seine Frau Claire an jeden Dörflifäscht anzutreffen mit den Spanferkeln, an unzähligen Quartieranlässen mit ihrem Grillstand.
Als eine aufwendige Sanierung der in die Jahre gekommenen Räumlichkeiten der Metzgerei anstand, verbunden mit hohen Kosten, die er nicht tragen konnte, wandte sich Othmar Zgraggen an Hugo Stahel von der Ligi, der städtischen Liegenschaftenverwaltung. Dieser sagte, so Othmar Zgraggen: «Die Altstadt braucht eine Metzgerei!» Hugo Stahel suchte das Gespräch mit Frau Jauch, die weit in den Siebzigern war und noch immer ihren Laden mit Antiquitäten und Militaria an der Stüssihofstatt betrieb, von der er wusste, dass sie sich in absehbarer Zeit zurückziehen würde. Sie liess sich die Problematik schildern und willigte ein, ein paar Monate früher als gedacht aufzuhören.
Damit konnten Zgraggens nach einem Umbau im Jahr 2002 umziehen an den heutigen Standort an der Stüssihofstatt 10. Dort hatten sie zu einem fairen Mietzins eine weit grössere Fläche als bisher zur Verfügung. Der Laden misst etwa 80, die Hinterräume nochmals 60 Quadratmeter.
Zgraggens konnten somit ihr klassisches Metzgerei-Angebot kontinuierlich ausbauen und vermehrt Take-away sowie Partyservice anbieten.
Die nächste Generation
Sohn Fabio (1986) machte eine Metzgerlehre bei Reif an der Zürichbergstrasse 20, nahm eine Saisonstelle an im Bündnerland, um danach die zweijährige Hotelfachschule Zürich zu absolvieren. Die folgenden zwei Jahre arbeitete er als Metzger in Kanada, in Canmore, Alberta. Ende 2010 kehrte er zurück und begann im elterlichen Betrieb mitzuarbeiten.
Im Februar 2014 übergaben die Eltern das Geschäft ihrem Sohn, der es seither führt. Die Eltern wiederum führen seither den Campingplatz Bucheli in Sisikon bei Brunnen am Vierwaldstättersee, der seit 60 Jahren von Claires Familie betrieben wird. Vater Othmar half noch tageweise in der Metzgerei aus, die Mutter besorgt bis heute administrative Aufgaben.
Breites Angebot
Das Geschäft war längst nicht mehr nur eine klassische Metzgerei. Neben Fleisch und Charcuterie stehen seit dem Wegzug von Bianchi Fisch und seit der Schliessung des Käseladens von Müdespacher Käse im Angebot, dazu ein Getränkesortiment, Brot, Gemüse, Gewürze… Etwa 30 Lieferanten beliefern das Geschäft.
Dazu kommen der Take-away-Bereich und die Mittagsmenüs. Vier verschiedene Menüs und eine Auswahl an Salaten lassen am Buffet um die Mittagszeit eine lange Schlange Wartender entstehen. Die Menüs sind beliebt bei den Handwerkern im Quartier, bei Büro- und Ladenangestellten, bei Studierenden, bei Anwohnern… Bis zu 140 Menüs am Tag wurden (vor Corona) abgegeben. Wie ein mittleres Restaurant.
Das mag sich gerechnet haben. Aber es ist mit Aufwand verbunden, mit viel Aufwand. Der Platz hinten in der Küche ist für all dies eigentlich zu knapp, auch für grössere Caterings oder etwa das Dörflifäscht, wie Fabio Zgraggen erklärt. Zgraggen kann stolz sein auf eine grosse Stammkundschaft. Dazu gehören Private ebenso wie Firmen, etliche Restaurants in der Altstadt, zwei Privatschulen etc.
Gründe für das Aufhören
Diese Komplexität des Betriebs, diese Vielfalt, die grosse Verantwortung, die 14-Stunden-Tage, all das ist zu einer grossen Belastung geworden. Für die Erholung, aber auch für das Privatleben bleibt kaum Zeit. So dass sich Fabio Zgraggen genötigt sieht, das Geschäft aus gesundheitlichen Gründen aufzugeben.
Er will nun den Sommer über auf dem Campingplatz in Sisikon mitarbeiten. Weiterhin betreuen will er jedoch einzelne Stammkunden. Er hat sich eingemietet in der Metzgerei eines Kollegen, wo ihm Arbeitsraum und Kühlraum zur Verfügung stehen. So kann er weiterhin Caterings anbieten und Stammkunden wie die Restaurants beliefern (Tel. 044 251 36 93, info@metzgerei-zgraggen.ch). Auch will er spezielle Würste und Trockenfleisch produzieren. So wird es ihm bestimmt nicht langweilig, doch kann er selbstbestimmt machen, was ihm gut tut.
Es geht weiter
Fabio Zgraggen hat Liegenschaften Stadt Zürich einen Nachmieter präsentiert – der Mietvertrag über 20 Jahre liefe noch bis September 2022 – und man hat sofort Hand geboten: «Die Altstadt braucht eine Metzgerei.»
Womit es nach einer kurzen Pause für Auffrischungsarbeiten weiterhin eine Metzgerei an der Stüssihofstatt geben wird, in ähnlichem Stil wie bisher (siehe links).
Fabio Zgraggen ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden vom Nachfolger übernommen werden. Dieser Wunsch wird erfüllt. Alle langjährigen Mitarbeitenden werden weiterhin dort arbeiten, die anderen haben eine neue Stelle gefunden.
Othmar, Claire und Fabio Zgraggen ist es ein Anliegen, zu danken. Fabio Zgraggen: «Danke für die langjährige Treue, den vielen Kundinnen und Kunden und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es fällt nicht leicht, diesen Schritt zu tun. Wir haben eine gute Zeit gehabt im Dörfli. Sehr gut sogar.» Der Dank sei herzlich erwidert!
Elmar Melliger
Wursterei by Hinz & Kunz
An der Stüssihofstatt 10 wird weiterhin eine Metzgerei betrieben, neu unter dem Namen «Wursterei by Hinz & Kunz». Mitte März erfolgt ein zweiwöchiger Umbau, eine sanfte Renovation, die eine Auffrischung von Böden, Wänden und Decke umfasst, wie Renato Blättler auf Anfrage erklärte. Er und Andreas Würmli sind die neuen Eigentümer. Die Familie Würmli betreibt seit 100 Jahren eine Metzgerei. Heute ist die Produktion in Gundetswil (nahe Frauenfeld), mit zwei Fachgeschäften in Elgg und in Neftenbach.
Die Metzgerei mit Take-away bleibt bestehen, wobei der Schwerpunkt neben dem klassischen Metzgerei-Angebot auf Würsten liegt, mit eigenen Kreationen. Am Mittag werden Menüs angeboten, ähnlich wie heute. Die Kühlvitrinen bleiben bestehen, ausser die hinterste mit Fisch und Käse: diese Produkte verschwinden aus dem Sortiment. Renato Blättler: «Das Angebot wird etwas weniger breit sein, dafür in die Tiefe gehen, fokussierter sein.» Speziell wird sein, dass die Filiale «cashless» betrieben wird, dass also nur mit Karte bezahlt werden kann.
Die langjährigen Mitarbeitenden werden übernommen, zusätzlich wird ein Filialleiter eingestellt. Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Samstag von 10 bis 20 Uhr. – Die Eröffnung ist am 1. April 2022.
EM