«Es ist mir ein Herzenswunsch»

Der Altstadtbewohner Mario Beretta ist Pianist, Dirigent, Komponist. Demnächst kommt seine Komposition «Alpsegen» in symphonischer Fassung zur Uraufführung. Der Altstadt Kurier hat ihn getroffen.

«Das Treppensteigen ist mein tägliches Training», lässt er lächelnd den Besucher wissen, der gerade die letzte Treppe zu seiner Dachwohnung inmitten der Altstadt erklommen hat. Heute noch schätze er sich glücklich, damals die Wohnung erhalten zu haben, die eine Bedingung zu erfüllen hatte: Sein Steinway-Flügel musste irgendwie da reinkommen. Der Transportfachmann nahm überall Mass und gab grünes Licht. Er hatte seinerseits eine Bedingung: Der Flügel müsse mindestens ein Jahr da bleiben. In der Zwischenzeit sind daraus bereits 25 Jahre geworden. Einmal drin, fand sich übrigens leicht ein Platz für den Flügel, im grosszügig bemessenen Wohnraum.
Mario Beretta liess sich nach dem Absolvieren einer Handelsschule am Konservatorium zum Pianisten ausbilden. Es folgten weitere Studien in Pädagogik, Komposition und Dirigieren. Er arbeitete an Mittelschulen als Klavierlehrer und war 1975 bis 1985 musikalischer Mitarbeiter am Schauspielhaus. Er wirkte als Dozent an der Pädagogischen Hochschule und ist seit 1986 freischaffend tätig als Dirigent, Komponist und Pianist. Er vertonte Filme und war musikalischer Leiter von Theaterproduktionen. Ausserdem wirkte er von 2015 bis 2019 als Chefdirigent der Zürcher Symphoniker.

Reiche Erfahrung
Gerade auch am Schauspielhaus habe er mit wunderbaren Menschen zusammengearbeitet, sagt er: «Ich habe mit Max Frisch geredet… Es war spannend, grossartig. Ich habe tolle Regisseure erlebt!»
Die «Kleine Niederdorfoper» mit Ruedi Walter und Margrit Rainer, wer kennt sie nicht? Zunächst als «Zweites Klavier» (unter Rudolf Spira), dann als musikalischer Leiter hat er insgesamt 150 Vorstellungen begleitet. «Ruedi war heikel wie en Chog, konnte ziemlich grantig sein. Ein toller, grossartiger Mensch, aber nicht ganz einfach. Ich habe viel gelernt bei ihm.» Beretta hat auch den «Schwarzen Hecht» begleitet. Er war als Dirigent tätig im Ausland, in Frankreich, Deutschland und vor vier Jahren in der Ukraine, in Odessa.
Für den Filmemacher Fredi Murer, ebenfalls ein Altstadtbewohner, hat er die Filme vertont, etwa «Höhenfeuer», «Vollmond», «Vitus», um die bekanntesten zu nennen.
Ein Meilenstein für Mario Beretta war sicher die Eröffnungsfeier der «Expo 2002». Er hat den Wettbewerb gewonnen für einen Kompositionsauftrag, eine 50-minütige Chor-Symphonie. Diese kam im Rahmen des «7. European Youth Festival» in Neuenburg zur Aufführung, mit 500 Musikerinnen und Musikern und 500 Sängerinnen und Sängern.
Wer so viel gemacht hat über so viele Jahre, kann ja keine 20 mehr sein. Tatsächlich kann Mario Beretta dieser Tage seinen 80. Geburtstag feiern.

Wichtiges Anliegen
Ein grosses musikalisches Projekt hat sich der Vollblutmusiker vorgenommen, ein Werk, das demnächst zur Uraufführung gelangt: Die symphonische Fassung seines Alpsegens. Ein halbstündiges Werk, das er komponiert hat. Bereits vor Jahren – erste Entwürfe hatte er bereits 1991 – führte er eine kammermusikalische Fassung auf, in Davos. Später eine Orgelfassung, in der Klosterkirche Einsiedeln: «Der damalige Abt Martin Werlen hatte Freude daran.» Die ersten Fassungen hat er weiterentwickelt. Und nun liegt die endgültige Fassung vor, bereit zur Aufführung durch ein 70-köpfiges Orchester, am 10. November 2022 in der Tonhalle. (Zwei Tage davor gibt es eine Voraufführung im Theater Uri in Altdorf.)
«Es ist mir ein Herzenswunsch, das zu realisieren», sagt er. «Heute ist alles voll mit Krieg und Angst. Da muss man Gegensteuer geben, den Menschen Mut machen, die Kunst hat hier eine Aufgabe! Angst erfüllt die Welt, Angst ums Klima, um die Gesundheit, vor dem Krieg. Angst als Triebfeder ist nicht gut: Freude erhält das Leben, nicht die Angst!»

Uralte Tradition
Der Alpsegen hat in der Schweiz eine jahrhundertealte Tradition. Allabendlich ruft der Senn den Alpsegen über die Alp. Ausgehend vom Johannes-Evangelium singt er persönliche Sorgen wegen der Tiere etc. über die Alp und erbittet den Segen.
Davon ausgehend hat Mario Beretta seinen Alpsegen komponiert, der Mut machen und zu einem «Welt-Segen» werden soll. Den Text dazu zu schreiben hatte er Adolf Muschg gebeten und ihm eine erste Fassung aufgeschrieben. Dieser habe ihm geantwortet, er solle doch gleich den vorliegenden Text verwenden, er sei so gut. «So habe ich sozusagen den Ritterschlag von Adolf Muschg erhalten», freut sich der Autor des Alpsegens, in dem er Wünsche für die Welt formuliert.
Bei der Aufführung in der Tonhalle wird er das 70-köpfige Orchester übrigens selber dirigieren. Das ganze Vorhaben hat auch einen organisatorischen und einen geschäftlichen Teil, den er fast im Alleingang zu bewältigen hat. Es galt das Projekt finanziell abzustützen, bei Stiftungen etc. vorstellig zu werden. Und Werbung zu machen, damit die Tonhalle mit ihren 1400 Plätzen möglichst gut besetzt sein wird.

Sinnliches Erlebnis
Zur Aufführung gelangen drei Werke: Den Auftakt macht Franz Schuberts Unvollendete, die Symphonie in h-moll D 759, ein nach Berettas Worten sehr kraftvolles Werk.
Dieses wird gefolgt vom Alpsegen. «Erhalt uns die Stille der Berge, der Täler, der Herzen…, damit wir dich hören», heisst es darin. Ein Werk voller Energie auch dies: «Es chlöpft und tätscht», ruft freudig der Komponist, der vor Energie nur so sprüht.
Den Abschluss macht die 9. Sinfonie e-Moll «Aus der Neuen Welt» von Antonín Dvorák. Beretta sagt dazu: «Dvorák ist ein Kraftwerk!» Und: «Bei der Aufführung geht es also sozusagen von der unvollendeten Vergangenheit über den Alpsegen zu einer neuen Welt.»
Wie sich das anfühlt, ein Orchester zu dirigieren, umschreibt der Maestro so: «Da häsch dänn z’tue! Wenn es stimmt, ist es beglückend.» Wie Bernstein es einmal formuliert hat: Wenn die Musik von hinten kommt, durch den Dirigenten durch zu den Musikern strömt, überschwappt zum Publikum und zurück. Mario Beretta enthusiastisch: «Das ist musikalische Energie!»
Er sagt: «Dirigieren und Komponieren ist das Wichtigste in meinem derzeitigen Leben.» – Der Alpsegen ermöglicht ihm beides. Ein Alpsegen für die Welt. «Die Welt hat wirklich einen Segen nötig! Mein lieber Schwan!»

Elmar Melliger


Die Aufführung in der Tonhalle ist am Donnerstag, 10. November 2022, um 19.30 Uhr. Mario Beretta, Dirigent, Manuel Walser, Bariton, Camerata Cantabile. Tickets zu Fr. 110.–, 90.–, 70.–, 35.– sind erhältlich unter www.tonhalle.ch, boxoffice@tonhalle.ch, Tel. 044 206 34 34 oder an der Billettkasse.Weihnachtsbeleuchtung
Am Donnerstag, 24. November werden die Weihnachtsbeleuchtungen in der Innenstadt erstmals wieder eingeschaltet. So ist es wenigstens vorgesehen.