Leder tragen – Ruffner fragen

Seit 50 Jahren führt Reto Ruffner sein Geschäft am Predigerplatz. Und noch ein persönliches Jubiläum gab es vor kurzem zu feiern, seinen 75. Geburtstag nämlich.

Ein vertrautes Bild seit Jahrzehnten: Reto Ruffner, der vor seinem Lederwarengeschäft am Predigerplatz steht und mit der Tabakpfeife in der Hand lebhaft gestikulierend referiert. Um sich dann aufs Velo zu schwingen und nach Hause zu radeln. – Das Bild stimmt noch immer, allerdings hat er soeben mit dem Rauchen aufgehört. Sein Hals habe es ihm nahegelegt und schon nach zwei Wochen gehe es diesem besser. Wer sich auf Reto Ruffner einlässt, hat besser etwas Zeit übrig, denn so rasch kommt man nicht wieder weg. Immer aufs Neue fällt ihm etwas ein, das er unbedingt noch erzählen muss. Langweilig wird es mit ihm nie.

Angefangen mit Naturleder
Reto Ruffner empfängt den Besucher in seinem Reich. Es riecht nach Leder.  Er absolvierte eine Lehre als Tapezierer/Dekorateur in Rüti, die Familie wohnte damals in Wald und zog 1966 nach Zürich, wo sein Vater reformierter Pfarrer an der Johanneskirche im Industriequartier war. «Ich habe 28 Jahre Feuerwehrdienst geleistet», schiebt er ein, um weiterzufahren: Nach der Lehre arbeitete er zwei
Jahre in Schweden. Vorhänge, Teppiche, Wandverspannungen, Stil- und Polstermöbel hat er da gemacht. Um sich nach seiner Rückkehr an der Heinrichstrasse mit Möbeln selbständig zu machen, auch in Genf hat er gearbeitet.
Und dann, nun kommt es, konnte er am 1. Februar 1973 sein Geschäft eröffnen, am Predigerplatz 30. Zunächst produzierte er dort Stil- und Polstermöbel, Stühle, Fauteuils. Nach vier, fünf Jahren sattelte er um auf Naturleder: Ungefärbt, vegetabil gegerbt. Vor allem Gürtel und Rucksäcke hat er gemacht und repariert. «Ausserdem führte ich Handelsware: Taschen, Mappen, Schultheks. Da konnte man leben davon, damals, denn es galt: ‹Und ist der Handel noch so klein, bringt er mehr als Krampfen ein.›» Heute allerdings lebe er vom Selbstgemachten. Denn der Handel sei eingebrochen, seit man alles überall noch billiger und dann auch noch online erhalte.
Was er gut verkauft, das sind seine Sportsäcke, in blauem, in grünem Stoff, mit Lederboden. Oder seine Umhängesäcke ganz aus Ziegenleder. Eine Kundin betritt den Laden und kauft gleich zwei der Sportsäcke: Ihr Mann hat bei Ruffner vor 40 Jahren zwei Exemplare gekauft. So langsam sind sie nicht mehr für schön, doch er lässt nicht ab von ihnen. Nun will sie ihn überraschen. «Da können Sie gleich einen Banküberfall machen auf Ihr eigenes Konto!», scherzt Reto Ruffner und erzählt ihr noch, dass er nun als Wochenaufenthalter hier sei und den Rest der Woche in Davos. Das soll die Kundin ruhig wissen.

Zürich und Davos
In Davos, seine Mutter stammte von da, hat er vor Jahren auf Land, das seit sieben Generationen der Familie gehört und wo seine Grosseltern noch Gemüse anpflanzten, ein Haus gebaut. 1991 war das. Und vor sieben Jahren hat er seinen Wohnsitz dorthin verlegt. Dort hat er sich eine Werkstatt eingerichtet mit zwei Nähmaschinen, Schneidemaschine etc., wo er die grösseren Arbeiten macht. Dort stanzt er mit mehreren Tonnen Druck Lederstücke in der gewünschten Form, die er verarbeitet zu Taschen, Portemonnaies, Schlüsseletuis oder Mädchen-Schultheks. Die Buben-theke mit fellbezogener Klappe kauft er ein, heutzutage sind das Liebhaberobjekte, was früher zur Standardausrüstung der Schüler gehörte. Die Mädchentheks macht er selbst, aus rotem Leder gefertigt sind sie und nur auf einem Teil der Aussenseite mit Kalbsfell bezogen. Eine Frau tritt ein und möchte genau so einen haben, für sich. Allerdings mit nur einem Riemen, als Umhängetasche. «Das wollte ich schon lange», schwärmt sie. «Das kann ich für Sie machen, wir machen das auch für grössere und ältere Kinder», lacht der Fachmann. Die Kundin kann nochmals vorbeikommen und sich das Fell aussuchen, bevor er es verarbeitet. Es ist von einem ganz kleinen Kälblein und somit das Muster, schwarz auf weiss, kleinflächig.
Sein Leder bezieht er aus Italien, Rinds- und Ziegenleder. Rindsleder ist 4 bis 5 Millimeter dick. Je nach Verwendungszweck muss man es dünner machen, also herunterspalten, abschärfen… – Seine Ladenöffnungszeiten reduziert hat er vor 17 Jahren. Bis Mitte der 1990er-Jahre sei es hervorragend gelaufen, danach ruhiger geworden. Die Mode hat sich gewandelt.

Laden, gut gefüllt
Sieht man sich im Laden um – im hinteren Hausteil hat es einen separaten Lagerraum – fällt auf, dass dieser ziemlich vollgepfercht ist mit seinen Produkten. In der Raummitte steht ein Ständer, an dem unzählige Taschen hängen. Darum herum führt ein schmaler Pfad. An den Wänden des 44 Quadratmeter grossen Raums tragen massive Holzgestelle aufgetürmte Taschen, Mappen etc. In den hinteren Ladenteil gelangt der Meister auf einem Trampelpfad, der über Papier- und Lederreste führt. «Ein Puff habe ich schon immer gehabt», sagt Reto Ruffner. «Was fehlt, ist die Zeit, aufzuräumen.» Und er strahlt und lacht herzlich.
Sein Bruder hat übrigens in Bern während 35 Jahren ebenfalls ein Lederwarengeschäft gehabt. Und seine Mutter hat ihm in der ersten Zeit im Laden geholfen, um dann während acht Jahren selbst ein Lederwarengeschäft zu führen, an der Oetenbachgasse. Mit ihr hat er immer zusammen gewohnt, bis zu ihrem Tod 2010, mit 90 Jahren.
Heute lebt er mehrheitlich in Davos, eher zurückgezogen, wie er sagt. Kann man sich gar nicht vorstellen. Ans Aufhören übrigens denkt er noch nicht konkret: «Ich mache das jetzt sicher noch eins bis zwei Jahre. Solange ich noch einigermassen fit bin.» Und er schwingt sich aufs Velo und radelt nach Hause in den Kreis 5.

Elmar Melliger


Leder Ruffner, Predigerplatz 30, 8001 Zürich, Tel. 044 252 09 68. Geöffnet Freitag 10 bis 18.30, Samstag 10 bis 17 Uhr.