Was uns alles fehlen würde

Am 27. August wird der Zürcher Heimatschutz seine als Jubiläumsfeier gestaltete Jahresversammlung in Zürich abhalten. Der Altstadt Kurier gratuliert herzlich zum Jubiläum und veröffentlicht hier aus diesem Anlass ein paar Gedanken eines Vorstandsmitgliedes.

Vor 20 Jahren setzten sich die Zürcherische Vereinigung für Heimatschutz und der Quartierverein Zürich 1 rechts der Limmat mit Erfolg für eine sanfte Renovierung von städtischen Häusern an der Chorgasse ein, von denen zwei einem Neubau hätten weichen sollen. Es ging nicht um grossartige Bauten, sondern darum, eine charaktervolle kleine Altstadtgasse zu bewahren und einen Einbruch zu verhindern, der rasch weitere nach sich gezogen hätte. Schon 1961/62 hatte der Zürcher Heimatschutz für die Erhaltung einer kleinen Altstadt-Idylle gekämpft, als nämlich ein Eckhaus an Trittli- und Neustadtgasse durch einen Bürohaus-Neubau hätte ersetzt werden sollen. Im Unterschied zur Chorgasse musste damals aber noch die sich allzu sehr eingebürgerte Praxis überwunden werden, den Abbruch von Häusern hinzunehmen, wenn der Neubau gewisse Elemente von Altbauten entlieh, das heisst wenn er «mit pseudogotischen Fenstern, aufgeschminkten Erkern … Alt-Zürich mimte», wie es in einem Artikel in der Zürcher Woche hiess. Der Heimatschutz hatte aus der damaligen Diskussion sicher viel gelernt und schlug sich deshalb zwei Jahre später auch beim vorgesehenen Abbruch der Grossmünsterkapelle und dem anschliessenden Haus, der Helferei, auf die Seite der Gegner des von Kirchgemeinde und Stadt befürworteten Projekts. Es ist heute kaum mehr verständlich, dass andere namhafte Fachorganisationen und bekannte Architekten dem Abbruch der neugotischen Kapelle zustimmen und den Neubauplan für die Helferei gutheissen konnten, der an der markanten Ecke einen Bau in der Art eines überdimensionierten, sich den umliegenden Häusern anbiedernden neuen Verwaltungsgebäudes eines Dorfes vorsah. In diesen Neubau wäre dann das alte «Zwinglistübli» integriert worden. Die Erhaltung wurde nebst höchst persönlichen Ansichten über die mangelnde architektonische Qualität und den angeblich zu schlechten Bauzustand mit dem auch heute ständig wieder vorgebrachten Argument bekämpft, man müsse auch moderne Ansprüche berücksichtigen und man könne nicht jedes alte Gemäuer erhalten.
Wie recht hatte Wilfried Spinner, als er dagegen in der NZZ vorbrachte, dass die Summe der bescheidenen und hervorragenden Bauten die Altstadt ausmachten, dass jeder Abbruch an die Substanz dieser Altstadt rühre und dass es falsch sei, jedes Mal zu denken, die übrige Altstadt sei ja noch gross genug und das in Frage stehende Haus sei nun auch nicht gerade ein Juwel. Oft wird die heute unverständliche Haltung des Stadtrats erwähnt, der bis in die 1940er Jahre plante, einen Grossteil der rechtsufrigen Altstadt Neubebauungen zu opfern, aber es ist recht wenig von den zahlreichen geplanten einzelnen Eingriffen in der ganzen Stadt die Rede, die, wären sie nicht verhindert worden, weit mehr als nur ein Einzelobjekt zerstört hätten. Was dem Rennweg- und Augustinerquartier vor gut zwei Jahrzehnten drohte, als es um das Schicksal von über zwanzig Häusern ging, ist wohl noch vielen in Erinnerung, und ich will deshalb lieber noch auf einige andere Fälle eingehen. Der Zürcher Heimatschutz drängte 1973 mit Recht auf die Erhaltung des Hauses «Zum Raben» am Hechtplatz, weil ein grosses Geschäftshaus vor den Häusern an den auf Hecht- und Schiffländeplatz ausmündenden Altstadtgassen den historischen Charakter des Ortes verdorben und höchstwahrscheinlich auch eine negative Entwicklung des Oberdorfes angestossen hätte. Man muss dabei wissen, dass die Stadt damals nördlich vom Bellevuehaus eine zweistöckige Tiefgarage plante, die mit dem vorgesehenen Basement des Gebäudes anstelle des Rabens verbunden worden wäre. Obwohl der Gebäudezustand von den Befürwortern der Erhaltung des Rabens zu gut beurteilt worden war und schliesslich weit mehr als erwartet rekonstruiert oder erneuert werden musste, darf die Ablehnung des einst geplanten Geschäftshauses als wichtig und richtig beurteilt werden.

Historische Zeugen
Ein interessanter Fall war das Haus zum Eisernen Zeit an der Mühlegasse (Ecke Niederdorfstrasse), das 1961 von der Stadt gekauft wurde, um es abzubrechen und die Mühlegasse auf vier Spuren verbreitern zu können. Das Vorhaben wurde dann aber wegen der sich abzeichnenden grossen Opposition fallen gelassen. 1984 plante die Stadt nur noch, das Gebäude auszukernen und mit einer Arkade für den Fussgängerverkehr zu versehen, wobei der damit mögliche dreispurige Strassenausbau angeblich nicht erfolgen, sondern nur als Option offengehalten werden sollte. Den verschiedenen Gruppierungen, die sich gegen das Projekt wehrten, schloss sich der Stadtzürcher Heimatschutz an und trug damit auch dazu bei, dass das Projekt in der Volksabstimmung abgelehnt wurde. Dies war ein deutliches Zeichen, dass breite Kreise die Fragwürdigkeit eines blossen Fassadenschutzes eingesehen hatten, wie er lange Zeit immer dann betrieben wurde, wenn keine künstlerisch wertvolle Interieurs vorhanden waren. Sehr bemerkenswert war ferner, dass die Presse breit auf die Notwendigkeit von substantieller Erhaltung historischer Zeugen einging und bei der Frage des Verkehrs eigentlich nur den wichtigen Einwand aufgriff, dass jeder Ausbau der Strasse die Zäsur im Quartier noch bedenklich vergrössern müsste.

Verständnis der Struktur
Auch beim Heimatschutz setzte sich in den 1970er-Jahren die Einsicht voll durch, dass Ortsbildern ausserhalb der Altstädte und Häuser und Anlagen aus jüngerer Zeit mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, wenn Monotonie vermieden und ein richtiges Verständnis der Struktur der Städte und damit eine tiefere Beziehung ermöglicht werden soll. Als Beispiel kann die Beteiligung des Heimatschutzes am Kampf um die Erhaltung der Häuser Baumwollenhof, Bockskopf und Sonnenhof auf der Bergseite der Stadelhoferstrasse genannt werden oder – um etwas Aktuelles zu erwähnen – die Sorge ums Kongresshaus und vor allem auch die Villa Rosau. Für die Rosau hatte er sich weitsichtig schon 1963 als einzige Vereinigung eingesetzt, als ein Hotelhochhaus auf dem Areal geplant war. Die ganze übrige, schliesslich erfolgreiche Opposition hatte sich nur gegen den Neubau gerichtet, und der Verlust der klassizistischen Villa wäre von den meisten Opponenten ziemlich gleichgültig hingenommen worden. An solche Fälle zu denken ist heute wieder besonders wichtig geworden, wo wir mit der allzu simplen Formel «Alt und Neu» immer wieder über die Verluste getäuscht werden. Das Bestehende wird, wenn es gut geht, registriert, aber nicht gewürdigt, und die Diskussion nur um das Neue geführt, als könnte dieses den geschichtlichen Zeugen ersetzen.

«Daheimsein»
Natürlich kann nicht behauptet werden, es sei meistens der Heimatschutz gewesen, der die entscheidende Initiative ergriffen oder an vorderster Front gekämpft habe. Aber er war und ist wichtig, allein schon deshalb, weil man ihn überall kennt und sein Eintreten in der Regel gutheisst. Sie doch auch? Ja, aber Sie haben Ihre Bedenken: Der Heimatschutz sollte sich mehr für dieses oder jenes stark machen, sollte den Mut haben, für Modernes einzutreten oder ist auf diesem Weg schon zu weit gegangen, sollte sich nicht für so alte «Hütten» einsetzen wie am Kreuzplatz, aber schon richtig, der entstandene, verfehlte Neubau hätte verhindert werden müssen! Wer die Geschichte verfolgt oder «Insiderkenntnisse» hat, weiss, wie sehr auch innerhalb des Heimatschutzes die Meinungen auseinander gehen können. Was ist eigentlich Heimatschutz? Hier wurde ja nur ein ganz kleines Feld des Wirkens ausgeleuchtet. Die Gefühlsduselei, für die das Wort Heimat missbraucht wird, lässt manche schon am Namen zweifeln, und doch verbindet uns trotz divergierender Meinungen eben etwas, das mit «Daheimsein» zusammenhängt. Die häufige Aufgabe, als Mahner auftreten zu müssen und unbeirrt Vorhandenes zu verteidigen, ist nicht leicht, besonders da uns ständig eingeredet wird, dieses Wirken sei nicht zukunftsweisend und dem Fortschritt abträglich. Warum lassen wir uns davon beeindrucken? So viele Fälle zeigen doch, dass wir den Weg für bessere Lösungen geöffnet und die Projektierenden vom Glauben an unüberwindliche Sachzwänge befreit haben.

Ulrich Ruoff