«Lueg au da, de Gift!»

Max Eiholzer ist dieses Jahr fünfundachtzig Jahre alt geworden. Er erzählte dem Altstadt Kurier aus seinem Leben als Drogist in der Altstadt.

Es ist Mittag, an einem Werktag. Umgeben von Frischkräutertinkturen in bauchigen Flaschen und Schachteln mit gut verpackten Heilkräutern ragt eine grosse, freundliche Gestalt. Sie hört aufmerksam zu, fragt ernst nach und zieht mit sicherem Griff das passende Präparat aus der Schublade. Es ist Max Eiholzer, im Gespräch mit einem Kunden. Eiholzer senior in seinem Element.

Auf einen Schwatz zu Max
Eigentlich müsste er schon lange nicht mehr arbeiten: Max Eiholzer konnte dieses Jahr seinen fünfundachtzigsten Geburtstag feiern. Trotzdem hilft er seinem Sohn Felix, seit 1982 Inhaber der Drogerie, über Mittag für zwei bis drei Stunden aus. «Es tuet mer wohl», kommentiert Max Eiholzer seine regelmässigen Einsätze schlicht. Manchmal schauen alte Bekannte auf einen Schwatz herein. Wenn er dann gleich Feierabend hat und mit ihnen ein Gläschen trinken gehen kann, freut es ihn ganz besonders. Denn es ist keine Selbstverständlichkeit mehr, dass Leute aus alten Tagen zu Besuch kommen. Viele sind gestorben, worüber Max Eiholzer nicht klagen will: «Das ist die Natur.» Und heutzutage gehe man halt auch als alter Mensch nicht mehr ins Dörfli, um Kommissionen zu machen. Früher kamen selbst Leute vom Land wöchentlich in die Stadt. Die Bauern besorgten sich in der Drogerie Heilmittel für das Vieh, Überkleider und Werkhüte bei Fein-Kaller um die Ecke. Unterdessen warteten ihre Kinder vorübergehend im Café Ammann vis-à-vis, dessen hervorragende Wähen weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt waren.

Die erste Schuhwichse im Wallis
So viel er über die Zürcher Altstadt berichten kann – Max Eiholzers Drogistenlaufbahn begann woanders. Der Berufsberater in Rothenburg, wo Max Eiholzer aufwuchs, schickte ihn nach der Schule für ein Jahr in eine Drogerie in Sierre, um Französisch zu lernen. «Dort fabrizierte ich meine erste Schuhwichse und konnte ich beim Keltern mithelfen», erzählt er mit einem feinen Schmunzeln, «im Wallis haben auch die Drogisten gern mit Wein zu tun.» Die Drogistenlehre hat er dann in Zürich absolviert, von 1936 bis 1939. «Ich bin vom Land, und anfangs dachte ich: nach der Lehre nichts wie weg von Zürich!» Dann aber kam es anders. Nachdem er das Diplom in Neuenburg errungen hatte, das ihn zur Leitung einer Drogerie befähigte, übernahm er 1948 die ehemalige Drogerie Bugmann. Seine Arbeit im Dörfli gefiel ihm so sehr, dass er blieb – bis heute.

Mitten in der Niederdorf-Oper
Max Eiholzer hatte die Leute des Quartiers ins Herz geschlossen. Ob Zahnarzt oder Zuhälter, ob Schuhmacher oder Ausläufer – er machte keinen Unterschied. Mit den meisten Handwerkern, Gewerblern, Pfarrern und den Leuten aus dem Milieu war er per Du. Auch seiner Frau Hedi, die er 1950 heiratete und die lange mit ihm die Drogerie führte, gefielen die Menschen im Niederdorf. «Si häts guet chöne mit allne», erzählt Max Eiholzer nicht ohne Stolz. Alte und junge Frauenzimmer kamen, um ihr das Herz auszuschütten. Ein richtiger Psychiater sei sie gewesen. Nun ist seine Frau daheim und schaut dem gemeinsamen Haushalt an der Sonneggstrasse, wo sie seit fünfzig Jahren leben.
Gehörten früher vor allem Dörflifrauen, Handwerker und Gewerbler zur Kundschaft der Drogerie Eiholzer, so sind es heute immer mehr Passanten, Touristen und Studenten. Entsprechend hat das Sortiment auch gewechselt.

Die Giftmischer
In den Dreissiger- bis Fünfzigerjahren versorgte Max Eiholzer Dutzende von Handwerkern am oberen und unteren Mühlesteg mit allen Chemikalien, die sie zur Ausübung ihres Berufes benötigten. Nicht von ungefähr nannte man die Drogisten früher «die Giftmischer». «Lueg, de Gift isch da!» rufen seine Vereinskameraden aus Luzern noch heute, wenn Max Eiholzer sie in seiner alten Heimat besucht. Heute dürfen Zyankali, Benzol und andere hoch giftige Stoffe im Handwerk kaum mehr verwendet werden. Sie unterliegen neuen gesetzlichen Verordnungen, die Distribution, Verkauf und Gebrauch strikt regeln. Warenhäuser und Importparfümerien können Düfte und Kosmetika meist billiger verkaufen als die Drogerie – früher gehörten sie zum Metier des Drogisten. Noch immer begehrt sind hingegen jene Haushalts- und Reinigungsmittel, die im Warenhaus nicht erhältlich sind, und natürliche Produkte für Gesundheit und Wohlbefinden. «Die Jungen», freut sich Max Eiholzer, «interessieren sich wieder für die Schätze der Natur.» Birkenwasser für die Durchblutung der Kopfhaut, Ringelblumensalbe gegen Hautentzündungen, Ginseng für das Gedächtnis – es gäbe noch manches aufzuzählen. Er stellt stante pede die geeignete Kräutermischung für Heiltees, Wickel und Tinkturen zusammen und macht auf Wunsch Salben und Crèmes nach alter Tradition.

«Also, tschau Max!»
Ein alter Bekannter, früher Uhrmacher im Dörfli, wendet sich zum Gehen. Er hat jetzt seine gewünschten Siebensachen aus der Drogerie beisammen. «Also, tschau Max, bis bald!», ruft er und schüttelt ihm kräftig die Hand. Wie den meisten Leuten geht es ihm jetzt bestimmt besser, als bevor er zur Tür
hereinkam. Mindestens ein bisschen.

Von Nadia Ghidoli