Es darf geraucht werden

Schon über drei Jahrzehnte steht er in seinem Laden an der Münstergasse 25; am 10. April konnte er seinen achtzigsten Geburtstag feiern. Der Altstadt Kurier gratuliert herzlich und hat einen Besuch abgestattet.

Ein letzter Zug, weg die Kippe und eintreten ins Geschäft? Nicht so an der Münstergasse 25. Hier betreten die Kunden den Laden mit rauchendem Glimmstängel, einige zünden sich eine Zigarette überhaupt erst an, wenn sie am Ladentisch stehen, vielleicht lädt die rauchgeschwängerte Luft dazu ein. Genüsslich zieht der Patron an seiner Pfeife.
Er kennt seine Kunden, viele schon ewig, und so ist das traute Du so selbstverständlich wie er die Wünsche seiner Gäste kennt. Wie als Gast in einer Kneipe könnte man sich hier fühlen. Manche der Eintretenden stellen sich durchaus auf einen kurzen Schwatz ein. Die Zeit scheint verlangsamt, sobald die Schwelle übertreten ist, hier gibt es keine Hektik, wenn auch ein ständiges Kommen und Gehen ist.
Wobei gegen das Wochenende mehr Betrieb ist, wegen dem Lotto. Und am Samstag kommen noch die Touristen dazu, je nach Witterung. Deshalb unterstützt ihn seine Frau Hildegard jeweils am Freitag- und Samstagnachmittag im Verkauf. Sie konnte im Dezember ebenfalls ihren achtzigsten Geburtstag feiern. Momentan muss sie allerdings aussetzen, denn erst kürzlich wurde ihr ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt.
Hans Widmer ist an der Schlossergasse 7, im Haus seiner Grosseltern, aufgewachsen. Hier lebte die Familie denn auch bis zum Tod seines Vaters 1983, seither wohnt er mit seiner Frau in Höngg, wo es ihnen gut gefällt.

Heute noch der Einzige
Beruflich war er siebenundzwanzig Jahre bei der Post, erst im Innendienst, die letzten fünfzehn Jahre als Paketträger, wie das heisst, wenn er auch zuerst mit Elektromobilen, dann mit einem Benziner unterwegs war. Als es ihm bei der Post verleidet war, machte er sich selbständig und handelte zwei Jahre lang mit Briefmarken, Münzen und Antiquitäten.
Bis er erfuhr, damals ging er als Kunde aus und ein, dass das Zigarrengeschäft an der Münstergasse altershalber verkauft würde. Sofort meldete er sich bei der Liegi, das Haus gehört der Stadt, und erhielt bei über fünfzig Mitbewerbern den Zuschlag.
Das war 1972, also vor gut dreiunddreissig Jahren. Damals gab es in der Umgebung ein Dutzend Läden mit Raucherwaren, heute ist er noch der Einzige, abgesehen von Kiosken.
«Zusammen mit der AHV reicht es gut zum Leben», sagt er, «ein Junger hätte vielleicht etwas mehr Mühe.»

Zigarrösen und Höllloch
Hans Widmer ist ein grosser Jazzfan, diese Musik ist oft zu hören im Laden. «Von Swing bis Bebop; mit Freejazz kann ich nichts anfangen.» Er bezeichnet sich als Hobby-Historiker. Speziell über die Altstadt kennt er sich gut aus. Weiss, dass die Eselgasse heute Metzgergasse heisst und die Spiegelgasse früher Steingasse genannt wurde. «Von 1850 bis zum Verbot im Jahr 1925 gab es im Niederdorf ein paar Dutzend ‹Zigarrösen›: vorn Zigarrenladen, hinten ein Chambre Séparé, wo man ein leichtes Mädchen haben konnte für fünf oder zehn Franken. – Ich könnte so viel erzählen, aber das nähme kein Ende!»
Ein weiteres Hobby von Hans Widmer hat er von seinem Grossvater geerbt. Dieser war Geometer und hat das Höllloch im Muotatal vermessen und mit einer belgischen Gesellschaft ausbauen lassen, für eine Million Franken. Und so kam es, dass auch Hans Führungen in die weit verzweigte Höhle gemacht hat, unentgeltlich damals: «Man war froh, wenn man eine Flasche Bier bekam am Schluss. – Ja, ich kenne mich aus im Höllloch.»

Auf einen Schwatz…
Neben Zigarren und Zigaretten stehen Tabak, Pfeifen, Feuerzeuge und Utensilien zum Verkauf bereit, sowie einige Zeitschriften. «Nicht so viele Zeitschriften, wegen dem Kiosk nebenan.» Und eben Lottoscheine sowie Ansichtskarten.
Die Registrierkasse in der Ecke der beiden Ladenkorpusse stammt aus dem Jahr 1913 und ist ein Schmuckstück. «Alles mechanisch, sie funktioniert tadellos, ihr fehlt nichts. Eine elektronische wäre längst kaputt; ich nähme keine andere.»
Jemand lässt sich das Eurolotto erklären, eine Stange Zigaretten wechselt den Besitzer, ebenso eine Paket dicker Zigarren. Ein junges Pärchen benötigt Tabak für die Wasserpfeife, ein Duzkollege kommt auf einen Schwatz und reicht einen Lottoschein nach, obschon der dicke Sechser gerade raus ist, leider nicht an ihn… Alltag im Zigarrengeschäft von Hans Widmer, der zufrieden lächelnd sagt: «Ich mache hier weiter, solange ich kann.»

Elmar Melliger