Schafe im Sand

Renate von Ballmoos, Pfarrerin der Predigerkirche, hat für den Altstadt Kurier eine Weihnachtsgeschichte verfasst.

In meinen Herbstferien bin ich in Nordafrika auf Krippenfiguren gestossen. Irgendwo am Rande der libyschen Wüste waren sie ausgestellt, von einheimischen Künstlern auf farbigen Tüchern im Sand platziert, in der Hoffnung natürlich, dass wir Touristen Freude daran hätten und diese auch kaufen würden.
Diese Figuren waren aus Stein und alle waren sie ein wenig anders in der Farbe, mit den Mustern, und auch die Figurengruppen waren nicht ganz identisch.
Mann und Frau natürlich gehörten überall dazu, von uns sofort identifiziert als Maria und Josef, mit dem Kind dazwischen. Auch Esel und Rind waren fast überall zu erkennen und dann etwa einige Schafe oder auch Kamele. Engel habe ich keine finden können, vielleicht sind diese für das Empfinden der Künstler nicht ganz so steinig darstellbar. Meine Krippe hat auch noch eine Hütte dabei, vielleicht ist sie auch ein Zelt, eine Behausung der lokalen Bevölkerung jedenfalls.
Ich habe also eine Figurengruppe ausgewählt und gekauft, denn bis jetzt hatte ich zu Hause noch keine, und die Erinnerung an das kindliche Krippenglück beim Auspacken und Aufstellen immer zu Beginn des Advents wirkt in mir nach.
Es waren jedes Jahr dieselben Fragen, die uns Kinder beschäftigten: Wohin stellen wir die Maria, darf der Josef in die Nähe, gehört der Hirtenhund in die Krippe oder nur auf die Schafweide und die Könige, dürfen die überhaupt schon dabei sein in der Adventszeit?
Jedes von uns Kindern vertrat natürlich eine etwas andere Meinung, sodass die Figuren im Laufe der Tage immer wieder hin und her geschoben wurden.
In einer befreundeten Familie habe ich später erlebt, wie der lange Adventsweg zur Krippe mit den Figuren nachgestellt wurde, durchs ganze Haus wanderten Maria und Josef, bis sie dann am Weihnachtsabend in der Stube beim Stall ankamen. Dann erst wurde das Kind in die Krippe gelegt und die prächtigen Könige tauchten auf ihren Kamelen erst am 6. Januar auf. Das hat natürlich seine liturgische Berechtigung, und als erwachsene Person finde ich dieses Vorgehen auch ganz interessant. Als Kind jedoch wäre ich mit Bestimmtheit unglücklich gewesen, wenn die Krippe während so vieler Adventstage fast leer geblieben wäre.
Krippenfiguren sind Ausdruck unseres menschlichen Bedürfnisses, das Besondere, das Göttliche, das Heilige irdisch, berührbar und erfahrbar zu machen.
Wie schön ist es doch, wenn wir einen der drei Könige in die Hand nehmen können oder gar das blaue Kleid der Maria streicheln dürfen!
Auch andere Religionen kennen ihre Figuren: die Buddhastatuen erinnern uns mit ihren verschiedenen Stellungen an die verschiedenen Eigenschaften von Buddha, hinduistische Götterfiguren machen die Vielfalt des Göttlichen sichtbar und auch die alten oder heutigen Stammeskulturen kennen die kleinen Figuren, die als Schutz- oder Begleitfiguren verstanden werden. Das Judentum und der Islam sind diesbezüglich etwas zurückhaltender. – Doch zum Christentum passen Krippenfiguren meines Erachtens sehr gut. Wer, wenn nicht wir, sollte solche sichtbare und berührbare Figuren lieben? Weihnachten ist ja das Fest, an welchem wir uns darüber freuen, dass der geheimnisvolle ferne Gott sichtbar und erfahrbar geworden ist, dass aus einer jenseitigen Gottheit eine wurde, die sich im Hier und Jetzt erfahren lässt, die sich mit der Welt vermischt, die sogar in uns Menschen sichtbar wird, ganz besonders aber im Menschen Jesus von Nazareth.
Ja mehr noch: Wenn wir Weihnachten feiern, dann rechnen wir mit der Möglichkeit oder wir hoffen wenigstens darauf, dass Gott sich mit uns Menschen verbindet, dass der Himmel auf die Erde kommt und der Gesang der Engel von uns Menschen gehört werden kann.
Krippenfiguren erinnern uns also daran, dass Gott hier ist und nicht in einer fernen abstrakten Welt.
Krippenfiguren zeigen uns, dass wir Menschen gerade durch unser Feiern, aber auch durch unsere Arbeit, durch unser künstlerisches Gestalten, durch unsere Liebe, Gott immer wieder sichtbar werden lassen hier auf Erden.Krippenfiguren helfen uns zu erkennen, dass wir an Weihnachten nicht eine längst vergangene Geschichte hören und nachvollziehen, sondern unserem Wunsch Ausdruck verleihen, dass Gott kommen möge, so wie damals oder auch ganz anders. Denn wer würde schon bestreiten, dass wenn Kinder und Erwachsene Krippenfiguren aufstellen und sie täglich beseelen, dass sie dann dem Göttlichen begegnen, im wärmenden Esel im Stall genauso wie in den vornehmen Königen?
So wünsche ich uns allen eine frohe Weihnachtszeit, auf dass das Himmelreich irdisch werde und wir dem Göttlichen Herberge bereiten, hier in Zürich und in diesen Tagen, mitten unter uns.

Renate von Ballmoos