Die Heilsarmee verlässt die Altstadt

Nach über hundert Jahren beendet die Heilsarmee ihre Präsenz in der Altstadt: Der «Gelbe Stern», die an der Schoffelgasse gelegene Begegnungsstätte für randständige Menschen, wird im Juni geschlossen. Das Leiterehepaar übernimmt eine neue Aufgabe.

Vor knapp fünf Jahren konnte die Heilsarmee ihr hundertjähriges Engagement in der Altstadt feiern. Nun wird sie im Juni ihre Arbeit im Kreis 1 aufgeben und gleichzeitig das Angebot im Kreis 5, im eigenen Haus an der Luisenstrasse beim Limmatplatz, ausbauen. Dort besteht unter anderem bereits eine Sozialberatungsstelle, eine Lebensmittelabgabestelle von «Tischlein deck dich» und das «Open Heart», ein Treffpunkt für Randständige. Dieser Treffpunkt soll eine neue Küche erhalten, um künftig dort warme Speisen anbieten zu können. Man will die Ressourcen besser einsetzen, den Raum besser nutzen und tägliche Öffnungszeiten einführen. Davon war intern offenbar schon länger die Rede. Überraschend für die Altstadt kommt dagegen die Nachricht, dass dies die Schliessung des «Gelben Sterns» an der Schoffelgasse 13 mit sich bringt.

Lange Tradition
Als Hans-Peter und Monika Leiser 1994 ihre Arbeit im «Gelben Stern» aufnahmen, war die Heilsarmee bereits seit Jahrzehnten in der Altstadt präsent. 1904 nämlich eröffnete sie an der Froschaugasse 8 ihr viertes Zürcher Lokal, «Zürich IV». Hier sollten die Leute einen gemütlichen Abend verbringen können, ohne die schlechten Einflüsse und die schlechte Luft von Wirtschaften, die Uniformisten bekennen sich zum christlichen Glauben und verzichten auf Suchtmittel, also auf Alkohol und Tabak. Später dislozierte man an die Spiegelgasse 29, in den Grimmenturm, wo im Parterre ein Saal Platz für hundertfünfzig Personen bot. In der Wohnung darüber wohnt heute die Familie Leiser. In den Sechzigerjahren erfolgte der Umzug an die Schoffelgasse 13.
Im Begegnungscafé «Gelber Stern» wurde lange viel gesungen und gebetet. Die Heilsarmeeleute haben auf der Strasse musiziert und die Leute zu einem Tee eingeladen. Auch als Hans-Peter und Monika Leiser hier ihre Aufgabe übernahmen, boten sie sonntags jeweils noch einen Gottesdienst an, der bald mangels Nachfrage abgeschafft wurde. Die Zielgruppe hat sich geändert und mit ihr das ­Angebot. Es gab Tee und Kuchen und bisweilen eine heisse Suppe, die ­Gäste kamen damals oft aus der offenen Drogenszene. 1996 haben Leisers dann zu kochen begonnen, weil sie Lebensmittel erhielten von Läden aus dem Quartier, später von «Tischlein deck dich» und ab 2000 von der «Schweizer Tafel». Seither bieten sie abends ein dreigängiges Menü an, fünfmal die Woche, für sechs Franken inklusive Getränke, ohne Fleisch für drei Franken. 2003 wurde eine neue Küche eingebaut und der Boden erneuert; zunehmend helfen Freiwillige im Betrieb mit. Das Motto «Es Dach, öppis z’Ässe, en Mänsch wo dr zuelost» ist heute noch zentral und steht gross angeschrieben. Jedermann ist willkommen, meistens sind es Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben, die hierher kommen, mehrheitlich ältere, alleinstehende Menschen. In der Regel kommen pro Abend zwischen zwanzig und vierzig Personen. Hans-Peter Leiser: «Der Gast bestimmt, ob und was geredet wird, wir wollen ihn als Person ansprechen und respektieren.» «Und dabei beratend, motivierend wirken, ohne zu drängen», ergänzt Monika Leiser, die wie ihr Mann im Majorsrang ist. Sie haben hier vieles erlebt. Besonders schön war für sie beispielsweise, als ein Vater sich mit ­seinem Sohn nach jahrelanger Fehde wieder versöhnte.

Im Quartier verwurzelt
Die beiden arbeiten seit 1988 für die Heilsarmee, seit 1994 in der Altstadt. Ihre vier Kinder sind hier zur Schule gegangen, zwei sind noch in der ­Lehre, der jüngste Sohn macht seine ­Lehre im Quartier. Die Kinder waren mit ein Grund, weshalb die Familie so lange hier geblieben ist. Während dieser Zeit haben die Eltern Vernetzungsarbeit geleistet, etwa mit den Sozial- und Gemeindediensten der Altstadtkirchen. Hans-Peter hat der Heilsarmee im Forum Soziokultur Gehör verschafft, neben der Gassenarbeit, die beide noch leisten, und Monika hat im Vorstand des Vereins Nachbarschaftshilfe Kreis 1 seit dessen Gründung Aufbauarbeit geleis­tet. Nun ist für sie die Zeit für einen Wechsel gekommen. Man hat sie schon vor längerer Zeit angefragt, ob sie bereit wären, eine neue Aufgabe zu übernehmen. Bei der Heilsarmee gilt das Wechselsystem, das bei den heutigen Nachwuchsproblemen weit weniger strikt angewendet wird als früher, als man nach zwei, drei Jahren versetzt wurde. Und so werden Leisers im Sommer für die Heils­armee den Predigerdienst in Bülach übernehmen. Dorthin werden sie ­Ende Juni umziehen, von dort aus werden die beiden Jugendlichen ­problemlos ihre Lehre weiterführen können.
Leisers freuen sich auf die neue Aufgabe, wenn sie auch nicht gern von der Altstadt weggehen: «Sie ist uns zur Heimat geworden.» Nicht einfach für sie ist der Umstand, dass nach ­ihrem Weggang der «Gelbe Stern» nicht weitergeführt wird. Fünfzehn Jahre haben sie sich hier engagiert und Aufbauarbeit geleistet, nicht ­immer eine leichte Aufgabe. Eine ­lange Zeit.
Im Quartier wird man die Leisers ungern ziehen lassen, sie gehören einfach dazu, haben sich hier bestens verwurzelt. Jetzt sind sie einstweilen ja noch hier. Und am 7. Juni, das Datum steht schon fest, möchten sie sich mit einer Abschlussfeier von ihren Gästen und vom Quartier verabschieden. Wir wünschen ihnen jedenfalls schon jetzt von Herzen alles Gute.

Elmar Melliger