40 Jahre und noch purlimunter

Das Theater Stok am Hirschengraben kann sein vierzigjähriges Bestehen feiern. Der Altstadt Kurier hat die aktiven Theaterleute besucht.

Zbigniew Stok (1924-1990) hiess der polnische Regisseur, der im April 1970 an der Leonhardstrasse provisorisch ein Kleintheater einrichtete, zusammen mit seiner Partnerin Erica Hänssler. Die Theatergeographie in Zürich war damals vergleichsweise karg. Schon ein Jahr später konnten die beiden Theaterverrückten am Hirschengraben 42 einziehen; in einen barocken Keller, der ein Weinhandel gewesen war, Edouard Mahler fils & frères, und später ein Polizeidepot für herrenlose Velos. Zur Eröffnung wurde «Was kostet das Eisen?» nach Brecht gespielt. Zusammen führten Stok und Hänssler ihr Theater mit leidenschaftlichem Totaleinsatz, bis zu seinem Tod.
Nicht lange gefackelt – weiterspielen! (Karl Kraus) – Peter Doppelfeld tauchte auf, Erica Hänssler nennt ihn bald ihren Peter Pan. Jünger ist er, mit solider kaufmännischer Ausbildung und Erfahrungen, und auch er ein vom Theater Besessener. Mit 17 Jahren war er zum ersten Mal im Theater Stok, damals wurde «Glückliche Tage» von Samuel Beckett gespielt, erinnert er sich. Er wurde ein gern gesehener Stammgast. 1993 spannt er mit Erica Hänssler zusammen, sie werden ein Paar, arbeiten sich gegenseitig in die Hände, ergänzen sich ideal: «Zusammen überwinden wir Stromschnellen und Engpässe, Technik, Schauspiel, Textbearbeitung, Administration, Putz- und Reinigungsservice, Kartenverkauf und … die neue Eigenproduktion.»
Das Theater heisst nun nicht mehr Stok’s Kammertheater, sondern Theater Stok. Der Name des Gründers bleibt Programm: S=Solisten, T=Tätige, O=Originale, K=Konsequente.

Reger Betrieb
Das Stok zeigt weiterhin und ohne Verschleisserscheinungen seine Eigenproduktionen, aber auch Gastspiele mit professionellen Darbietungen in den verschiedensten und oft übergreifenden Sparten. «Schauspielerinnen und Schöngeister, Träumer und Tänzerinnen, Magier, Musiker, Gaukler und Geniale geben sich die Klinke in die Hand» (Selbstdeklaration). Die Shake Musical Company mit Dominik Flaschka hat von hier aus das Publikum erobert. Chansons en Stok ist das grosse Festival de la Chanson Française in Zürich. Der Ausnahme-Schlagzeuger Pierre Favre ebenso wie der Paradiesvogel La Lupa (seit 1990!) halten dem Theater die Treue, wie auch das Theater 58, Rosina Zoppi mit ihrer «Oper
im Knopfloch» und junge Zauberer mit ihrer Monday Magic Night. Eine unermüdliche Aufbruchstimmung, die besondere Atmosphäre und seine Unabhängigkeit hat das Theater stets behalten. Und von wegen Werbung: «Hat es Ihnen gut gefallen, sagen Sie’s den andern allen.» – Die nächste Soloproduktion wird «Das Theater ein Traum» nach Robert Walser sein. Das ist nicht nur ein Stück, sondern auch ein Motto fürs Leben. Auf die Bühne kommt es im Juni. Für den Mai ist eine inspirierte Zusammenarbeit mit der Zentralbibliothek eingefädelt zum Thema Oskar Kokoschka (sein Nachlass beläuft sich auf 36 Laufmeter!).

Vom Vogel Marabuch
In 40 Jahren haben rund eine Million Besucherinnen und Besucher das Theater Stok besucht. Es fanden bisher etwa 13 000 Anlässe statt, mit 1500 verschiedenen Solisten und Gruppen. Die Theaterkasse schliesse auch dieses Jahr «mit einer schwarzen Null», teilen die beiden Theaterleiter mit und veranschlagen die Subventionierung pro Sitzplatz aktuell auf 3 Franken. Neue Mitglieder im Gönnerverein der festen Freunde sind willkommen (Postkonto 80-29082-1).
2007 haben Erica Hänssler und Peter Doppelfeld auch ein reich bebildertes, hoch poetisches, überschwängliches Theatertagebuch herausgegeben. Eine kleine Kostprobe: «Kennst du den Vogel Marabuch? Dieser Vogel ist für die Wörter das, was Abraham für uns Menschen ist. Einst nahm er sich die junge schöne Mara zum Weibchen und zeugte mit ihr den Stamm der Bücher. Bis heute sind ihre Gelege in allen Ländern der Erde zu finden. In Urzeiten waren die Bücher befiedert, davon zeuge noch der Begriff der Schreibfeder oder der gemeinsame Laut der Wörter Eier und Leier. Viele Leser nehmen sich der Geschlüpften an, aber es ist Vorsicht geboten, nicht alle Geschlüpften werden flügge…»
Die Internet-Seite ist deutsch, italienisch, französisch, englisch, griechisch und sursilvanisch aufgeschaltet.
Eine Aussenstelle des Theaters – oder das Herz? – ist das Theatermuseum, das Haus der Feen und Faune am Sihlquai 252. Es kann auf Voranmeldung besucht werden (Tel. 044 272 20 64, www.theater-stok.ch). Das Treppenhaus, die Wände und Decken der Wohn- und Arbeitsräume sind mit Plakaten, Requisiten und Masken vielgestaltig verkleidet. Sie stammen alle aus der Hand von Erica Hänssler und erzählen von ihrem verwunschenen, verträumten und verrückten Theaterkosmos. Den rotsamtenen Theaterthron hat ihr Erna Brünell (1908-2000) gestiftet.

Esther Scheidegger