«Ulysses», vielfach beleuchtet

Wenn ein vor 100 Jahren erschienenes, in vielen Teilen schwer verständliches, rätselhaftes, umstrittenes Buch noch heute weltweit gelesen, lebhaft diskutiert und nach wie vor zu den bedeutendsten im 20. Jahrhundert geschriebenen Romanen gezählt wird, dann muss wohl etwas dahinterstecken.
Dass dies auf James Joyce’s Klassiker «Ulysses» zutrifft und was es mit diesem anspruchsvollen, sprachlich unkonventionell vielfältigen Werk auf sich hat, lässt sich derzeit in der Strauhof-Ausstellung «Ulysses von 100 Seiten» nachvollziehen. Der erste Teil im Erdgeschoss ist ganz dem Inhalt des Romans gewidmet. In 60 Stationen werden mit zusammenfassenden Texten zunächst die Hauptpersonen vorgestellt, danach folgen die wichtigsten Handlungsstränge und Grundthemen der einzelnen 18 Kapitel, in denen sich die unterschiedlichsten alltäglichen, kuriosen, intimen Ereignisse des 16. Juni 1904 in Dublin zutragen. Illustriert mit sprechenden Objekten, die in den jeweiligen Romanpassagen eine Rolle spielen, gelingt es auf geschickte Weise, die vielen Querbezüge innerhalb der miteinander verflochtenen Kapitel darzulegen und die zahlreichen oft versteckten Anspielungen auf Motive aus Literatur, Kunst, Philosophie oder Naturwissenschaften zu erklären. Dabei erweist sich das Buch als ein materialreicher Fundus, der vom unerschöpflichen Wissen und den weitverzweigten Kenntnissen des Autors zeugt.
Der zweite Teil der Ausstellung im Obergeschoss behandelt die Entstehung, Publikation, Rezeption und Wirkung des Romans. Vier Frauen waren es, die jeweils als Inspiratorin, Mäzenin, Vermittlerin und Verlegerin am Gelingen des Buches wesentlichen Anteil hatten. Hier wird auch die Bedeutung Zürichs klar, wo sich Joyce von 1915 bis 1919 aufhielt und 13 der 18 Kapitel verfasste und wo sich mit der Zürcher James Joyce Stiftung im Strauhof ein Zentrum gebildet hat, in dem seit Jahrzehnten «Ulysses» in Gruppen gelesen und erklärt wird. Die illustrierte Begleitpublikation enthält die Erläuterungen der 100 Stationen und kann als nützlicher Leitfaden bei der Lektüre des «Ulysses» nur wärmstens empfohlen werden.   

Matthias Senn


«Ulysses von 100 Seiten», Ausstellung im Literaturmuseum Strauhof, bis 1. Mai 2022, Dienstag bis Freitag 12 bis 18 Uhr, Donnerstag 12 bis 22 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 17 Uhr. Zum Rahmenprogramm siehe www.strauhof.ch/veranstaltungen; Begleitpublikation 120 Seiten, mit Abbildungen, Fr. 12.–.