Es begann mit der Elephanten-Apotheke

Die eine studierte Pharmazie, die andere Chemie und gemeinsam bauten sie in der Zürcher Altstadt ein beachtliches Imperium auf: die Opopharma. Kürzlich ist ein Buch über das Lebenswerk der Gründerinnen Hermine Raths und Marguerite Steiger publiziert worden.

Wer nichts wagt, sagt der Volksmund, kann nur verlieren. Also spazierten zwei junge Frauen in eine Apotheke und fragten, ob sie zu verkaufen sei. Die Antwort der Besitzerin war – wenig überraschend: Nein! Doch nach sechs Monaten war der Verkauf perfekt: Hermine Raths, damals 28, und Marguerite Steiger, damals 25, übernahmen im Jahr
1934 nicht irgendeine, sondern die Elephanten-Apotheke an der Marktgasse 6 in Zürich, die älteste Apotheke am Platz, gegründet 1575.
Mit ihrem Überraschungscoup als Studentinnen begann der geschäftliche Aufstieg der zwei Frauen. Raths hatte Pharmazie studiert und 1937 ihren Doktortitel erworben, ihre Freundin Steiger war die erste Schweizerin, die in Chemie an der ETH den Doktorhut aufgesetzt bekam, im Jahr 1936. Kennen gelernt hatten sich die beiden an der Plattenstrasse, im Institut von Prof. Dr. Sinai Tschulok, während ihrer Vorbereitung zur Matura. Beide schlossen sie im selben Jahr ab und teilten, kaum war Marguerite Steiger volljährig, ein Zimmer in Zürich. Sie blieben ihren Lebtag lang zusammen (Raths starb 1984, Steiger 1990).
Wenige Jahre nach dem Kauf der Apotheke übernahmen sie den Vertrieb der Hormonpräparate der niederländischen Unternehmung Organon. Die Firma war 1923 von Saal van Zwanenberg gegründet worden, dem Besitzer einer Grossschlachterei. Van Zwanenberg suchte nach einer Nutzung für die Bauchspeicheldrüsen von getöteten Schweinen. Der Zufall wollte es, dass Steigers Doktorvater für Organon arbeitete. Raths und Steiger gründeten die Opopharma und verkauften die Produkte der Niederländer, darunter solche, die Schwangerschaften verhindern halfen. Originellerweise kamen später Babypuder oder das Babyshampoo von Johnson & Johnson hinzu, bis Johnson eine eigene Vertriebsfirma eröffnete und Opopharma die Verträge kündigte.
Nach dem Tod der Gründerinnen wurde die Opopharma in eine Stiftung überführt; Präsident ist Rechtsanwalt und Willensvollstrecker Martin Usteri. Der Stiftung gehören – neben dem Pharmaunternehmen – mehrere Immobilien, darunter die Altstadthäuser «Zum Roten Adler» (Kirchgasse 42, wo sich der frisch renovierte Sitz der Stiftung befindet), «Zum Judentempel» (Marktgasse 4), «Zum Goldenen Schild» (Marktgasse 6) sowie das Haus «Zum weissen Fräuli» und jenes an der Oberen Zäune 12. Die Oberen Zäune 14 wurden 1987 von der Opopharma an Arnold Meyer («Taxi-Meyer») verkauft mit der Auflage, das Kaufobjekt «nicht zu unsittlichen Zwecken zu benützen beziehungsweise benützen zu lassen, namentlich nicht für das Sexgewerbe». – Nicht vorenthalten seien den Lesern die «7 Säulen des Erfolgs» von Raths und Steiger:
1. Suche das Business!
2. Morgenstund’ hat Gold im Mund.
3. Sei vom Produkt überzeugt, das du verkaufst!
4. Sei hartnäckig!
5. Sei kreativ, innovativ und flexibel!
6. Schau nach vorne, nie zurück!
7. Schweige dich über deinen Erfolg aus!
Punkt 7 dürfte der zürcherischste von allen sein. – Die Elephanten-Apotheke wurde nach 419 Jahren Betrieb wegen anhaltend schlechtem Geschäftsgang am 30. Dezember 1994 geschlossen – zwei Tage vor Einführung der Mehrwertsteuer in der Schweiz. Zwei der letzten Reklameschilder im Fenster der Apotheke: «Kik hält Insekten fern.» Und «Trosyd – Fusspilz ade!»
Diese und weitere Tatsachen, erzählenswerte Anekdoten, aber auch kunstvoll gehäkelte Legenden entnimmt man dem Buch von Martin Schmid: «Man muss nur etwas daraus machen – das Lebenswerk von Marguerite Steiger und Hermine Raths», herausgegeben von der Opo-Stiftung.

René Ammann