Annäherung an die Zürcher Altstadt

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Unsere Gastschreiberin Therese Brändli ist von Bern nach Zürich und über das Zürcher Oberland in die Zürcher Altstadt gekommen, wo sie sich rasch heimisch fühlte.

1944 wurde ich als jüngstes von drei Kindern in Zollbrück im Emmental geboren und bin in der Stadt Bern aufgewachsen. In unserer Familie hatten Bücher immer einen wichtigen Platz. Ich entschloss mich deshalb nach der Sekundarschule bei Huber in Bern eine Buchhändlerinnenlehre zu machen. Bald zog es mich aber von Bern weg und 1968 entschied ich mich für die Grossstadt Zürich.  
Mitte Oktober ging ich nach dem Mittagessen am Limmatquai Richtung Buchhandlung Bodmer, meiner damaligen Arbeitsstelle, am Café Select vorbei, das es leider heute nicht mehr gibt. Dort sass ein Mann in einem roten Pullover, der über seinen Zeitungsrand hinweg schaute. Zuerst ging ich noch fünfzig Meter weiter. Beim Schuhladen Capriccio angekommen, sagte mir eine innere Stimme, dass ich wieder zurückgehen sollte. Der Platz neben dem jungen Mann war immer noch frei. Ich setzte mich zu ihm. Wir kamen ins Gespräch und verabredeten uns bereits für den nächsten Tag, um zusammen Skier zu kaufen, im Oktober! Otto stand damals als Medizinstudent im Staatsexamen kurz vor der Gynäkologie-Prüfung. Herr Bodmer machte eine ernste Miene, als ich endlich viel zu spät in der Buchhandlung erschien. Aber das war mir egal – ich hatte meinen Traummann gefunden!
Nach unserer Rückkehr nach Zürich von einem zweijährigen Weiterbildungsaufenthalt meines Mannes in New York hatte ich mich 1976 bereits für ein Ladenlokal am Rindermarkt/ Ecke Froschaugasse gemeldet. Ich wollte dort eine Buchhandlung mit einem Café eröffnen. Ich hatte diese Art Buchhandlung/Café in New York gesehen und wollte diese Idee in Zürich realisieren. Ich war voller Tatendrang – aber es kam dann alles ganz anders: Wir erhielten die Möglichkeit, ein kurz zuvor geborenes Pflegekind, welches wir später adoptieren konnten, in unserem Haus in Wald aufzunehmen. Oft habe ich mich gefragt, wie mein und unser gemeinsames Leben verlaufen wäre, wenn ich die Buchhandlung in Zürich damals trotzdem eröffnet hätte.

Den Sprung gewagt
2009 sah ich auf «Homegate» ein Inserat für Wohnungen an der Unteren Zäune 15. Es waren kleine Studentenwohnungen, die gerade renoviert wurden. Begeistert meldete ich mich für die Wohnung im 3. Stock mit Sicht auf die Universität. Zuerst erhielt ich eine Absage, aber ich telefonierte immer wieder und zu unserem Glück unterschrieb eine Mieterin ihren Vertrag nicht rechtzeitig. So wurden wir glückliche Mieter einer Stadtwohnung und konnten bei unseren wöchentlichen Besuchen aus dem Zürcher Oberland Altstadtluft schnuppern. Frühmorgens holte ich jeweils bei Helen Faigle feine Gipfeli und es war schön, so den Tag zu beginnen. Die Altstadt war noch still, Eltern brachten bereits ihre Kinder in die Kita und eilten an ihre Arbeit.
Es war für mich klar, dass ich meinen 70. Geburtstag auch in der Altstadt von Zürich feiern wollte. Wir trafen uns zum Brunch mit vielen Gästen an einem Sonntagmorgen im Oktober in der «Kantorei» und um den schönen Nike-Brunnen dort.
Eine grössere Wohnung in Zürich war schon lange mein Traum gewesen. Wir schauten einige Objekte an, doch kam ich mir immer vor wie auf einem Sprungturm im Schwimmbad. Ich schaute nach unten und hatte keinen Mut zu springen! Dann traf ich Anne Peyer mit ihrem Fahrrad unterwegs auf der Gasse, die Physiotherapeutin, die in der Altstadt auch bei Patienten zu Hause ihre Behandlungen anbietet. Anne sagte mir, sie habe gerade erfahren, dass an der Kirchgasse eine Wohnung im 4. Stock frei werde und noch nicht ausgeschrieben sei. Sie gab mir den Namen des Besitzers, und zwei Tage später standen wir bereits in dieser Wohnung. Wir waren begeistert von den schönen Räumen und der guten Lage und es gab sogar einen Lift! Nur mussten wir uns sofort entscheiden. Ohne lange zu zögern, unterschrieben wir den Mietvertrag.

Gut aufgenommen worden
Im September 2015 zogen wir definitiv von Wald an die Kirchgasse und haben diesen Entscheid nie bereut. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass die Bewohner der Altstadt eher reserviert gegenüber Neuzuzügern reagieren würden. Ich erlebte dies in den vergangenen Jahren jedoch ganz anders: Herr Zgraggen in der Metzgerei zum Beispiel fragte mich schon nach dem zweiten Besuch nach meinem Namen.
Meine eigene Internetbuchhandlung www.buchland.ch, welche ich 2002 bereits in Wald eröffnet hatte, wollte ich auch in der Altstadt weiterführen. Ich fand in der russischen Buchhandlung Pinkrus an der Unteren Zäune einen Ort, wo ich die für mich ausgelieferten Bücher jeweils abholen konnte. Nachdem diese wegzog, fand ich dafür in der Kinderbuchhandlung an der Oberdorfstrasse einen passenden «Unterschlupf».
Alle Wasser-, Strom- und Gasleitungen wurden auch an der Kirchgasse seit April 2023 mit grossen Einschränkungen für die Anwohner und Geschäfte monatelang erneuert. Die Gasse ist inzwischen wieder in alter Schönheit auferstanden. Obwohl ich mich während dieser Zeit oft über den Schmutz und Lärm geärgert hatte, erlebte ich auch Positives: Es gab mit den Arbeitern auf der Gasse und den Mitbewohnern eine neue Verbundenheit. Man grüsste sich, sprach länger miteinander als sonst und bewunderte zuletzt zusammen die gute Arbeit der Pflästerer, die bei jedem Wetter die alten Pflastersteine wieder präzise nebeneinander einsetzten.
Unser Haus heisst «Zum grünen Zweig», und ich darf sagen, dass ich in dieser kurzen Zeit bereits sehr gut in der Altstadt angekommen bin und ein neues Zuhause gefunden habe. Ich danke allen für die Offenheit und die interessanten Begegnungen!

Therese Brändli


Unsere Gastschreiberin
Therese Brändli (1944) ist in Bern aufgewachsen, wo sie eine Buchhändlerinnenlehre absolvierte. 1968 kam sie nach Zürich, wo sie bei der Buchhandlung Bodmer arbeitete und 1970 heiratete. Unterbrochen von einem Aufenthalt in New York (zwei Jahre) und in Basel (ein Jahr) lebte sie mit ihrem Mann zunächst in Zürich, ab 1977 in Wald im Zürcher Oberland. 2009 bezogen sie eine Wohnung an der Unteren Zäune, seit 2015 leben die Eltern von drei erwachsenen Kindern an der Kirchgasse.
Von 1982 bis 2013 arbeitete Therese Brändli bei der Buchhandlung Kupper in Stäfa, 2002 gründete sie ihre Internetbuchhandlung «buchland.ch», die sie bis heute führt. Sie schätzt in der Altstadt das kulturelle Angebot, das sie rege nutzt.


Foto: EM