Hans Stickelberger zum Gedenken

Matthias Senn und Cornelia Vogelsanger würdigen den ehemaligen Grossmünsterpfarrer.

Im Altstadt Kurier vom Dezember 2002 hat sich Hans Stickelberger, bevor er als Grossmünsterpfarrer in den Ruhestand trat, von den Lesern des Weltblatts verabschiedet. Er tat es in seiner Art mit einer Geschichte, die uns seine humorvolle Phantasie zeigte, die aber nicht an der Oberfläche hängen blieb, sondern immer einen bedenkenswerten Hintergrund offen legte. Bereits in der nächsten Nummer berichtete Ottilie Wildenau vom Unglück des Wasserschadens im Haus in Uttwil, das Hans und Margrit Stickelberger zwang, ein halbes Jahr länger in der Zürcher Altstadt zu verweilen. Nicht nur die Kinder fanden das «geil», auch viele Erwachsene, Gemeindeglieder, Nachbarn, Freunde waren insgeheim dankbar, die Stickelbergers noch einige Monate in der Pfarrwohnung an der Kirchgasse zu wissen, so sehr man ihnen den raschen Umzug in die Ruhe und Weite des Bodensees gegönnt hätte – umso mehr, wenn man geahnt hätte, wie kurz Hans Stickelbergers Zeit am ersehnten neuen Wohnsitz bemessen sein würde.
Rückblickend erhalten nun diese «geschenkten» Zürcher Monate ihre besondere Bedeutung. Hans Stickelbergers Beziehung zur Altstadt war wohl eine spezielle. Mit seinem Interesse für die Geschichte lebte er gerne im historischen Kern der Stadt und empfand es als Privileg, in den schönen Räumen am geschichtsträchtigen Ort der Helferei wohnen zu können. Er war sich aber auch bewusst, in einer Amtswohnung zu sein, die ihm nur bis zur Pensionierung zustand. Das war vielleicht mit ein Grund, weshalb er in Zürich nicht allzu tiefe Wurzeln schlug. Gewissen Bräuchen stand er eher distanziert gegenüber. So betrachtete er etwa das zünftische Treiben am Sechseläuten lieber von oben herab aus den Fenstern seiner Wohnung, als dass er sich in die Reihen des Umzugs gemischt hätte. Aufmerksam konnte er sich der Sorgen und Problemen der Altstadt und ihrer Bewohner annehmen, wenn sie an ihn herangetragen wurden, ohne es aber nötig zu finden, in Versammlungen von Parteien und Vereinen des Quartiers besonders aktiv zu werden. Auch in den Beizen und Bars der Altstadt traf man ihn selten an, obwohl er gutes Essen und Trinken zu schätzen wusste. Gerne kochte er eben selbst und freute sich, wenn er Jung und Alt in seiner Stube zur Mahlzeit um sich versammeln konnte. Überhaupt wurde die Pfarrwohnung für viele zu einem Zentrum grosszügiger Gastfreundschaft. Indem die Stickelbergers hier Menschen aus aller Herren Länder für kürzere oder längere Zeit beherbergten, brachten sie Farbe und Leben in die Altstadt.
Ein reges Gemeindeleben über die traditionellen Kirchgemeindeanlässe hinaus wünschte sich Hans Stickelberger auch in der Altstadt, und, seinen Neigungen entsprechend, belebte er es unter anderem mit der Gründung eines Orchesters und der Bildung einer Theatergruppe, an deren Aufführungen er selbst aktiv mitmachte. Die Unterstützung des Kulturhauses Helferei, an dessen Entstehen er intensiven Anteil nahm und dessen geistig weitgespannte Programme er mit Interesse verfolgte, war ein weiterer Beitrag zur Bereicherung der Altstadt.
Die eingangs erwähnte Erzählung im Altstadt Kurier schloss Hans Stickelberger mit der Bemerkung: «Es gibt Geschichten, die gerade deswegen gut sind, weil sie nicht so enden, wie wir es gerne hätten. Im Neuen Testament gibt es lauter solche zweifelhaften Geschichten, und bei manchen heisst es sogar, damit sei das Reich Gottes gemeint…»
Das sei bedacht, wenn wir uns in Dankbarkeit an Hans Stickelbergers Leben und Wirken erinnern.

Matthias Senn und Cornelia Vogelsanger