Die kleinen Oasen der Altstadt

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Unsere Gastschreiberin Anja Hefti hat in der Altstadt Abkühlung und Erholung auf den Plätzen gesucht, die eine willkommene Abwechslung bieten zu den engen Gassen und der Wohnung ohne Aussenbereich.

Neue Orte zu entdecken ist wahrhaftig eines der schönsten und aufregendsten Dinge im Leben. Enge Gassen, gerade oder verwinkelt, dunkel oder hell, alt und verlassen, all das macht mich neugierig. Doch was wären diese Gassen ohne Plätze? Diese kleinen dazwischen gelegenen offenen Punkte, Oasen, welche zum Ausruhen, Festen, sich treffen und austauschen einladen? Bereits als 8-Jährige, als meine Familie von dem kleinen Bündner 295-Seelen-Dorf Langwies nach Chur zog, fühlte ich mich wohl in der Churer Altstadt mit ihren Gassen und Plätzen. Während ich 17-jährig als Au-pair nach Rom ging, zogen mich auch da die geschichtsträchtigen, ausdrucksvollen Piazzas und Park-Villen an, welche ich mit der Kamera festhielt. So ist es nicht verwunderlich, dass ich diese Orte auch in Zürich aufsuchte.

Erste Schritte in der Altstadt
Als Jugendliche sowie später als Kindergartenpraktikantin im Kindergarten Neumarkt war mein erster Kontakt zu Dörfliplätzen der Rosenhofmarkt. Ich wollte das städtische Flair kennenlernen und dabei die Städter beobachten. Der Rosenhofmarkt ermöglichte mir dies durch seinen Verkauf von Schmuck und Kuriositäten aus aller Welt, die umliegenden Bars und Restaurants, sowie die für mich damals eigenwillig angezogenen Verkäuferinnen und Verkäufer und ihre Käufer und Interessenten.
Später, als ich nach Zürich zog, waren die Abstecher in die Altstadt selten und kurz. Ich wohnte in verschiedenen Stadtteilen: Schindlerstrasse (Quartier Unterstrass), Brauerstrasse (Chreis Cheib), Feldgütliweg (Stauffacherquartier), Mattengasse (Kreis 5), Kiefernweg (Oerlikon).
Und dann, endlich: Mein Wunsch, ins «Dörfli» zu ziehen, wurde Wirklichkeit. Als ich meine Wohnung an der Froschaugasse bezog, zusammen mit meinem damals 5-jährigen Sohn Finn, inspizierte ich die Gassen und Plätze richtig. Dank meiner lieben Nachbarn lernte ich schnell verschiedene Orte kennen.

Begegnungsmöglichkeiten
Eine Herausforderung war für mich, als Bündnerin in einer Altstadtwohnung, in den Sommertagen der Hitze zu entfliehen. Dann, wenn es heiss in den Gassen flimmerte und die angestaute Wärme in der Wohnung unerträglich wurde. Es begann die Suche nach schattenspendenden Plätzen. In solchen Momenten besuchten wir oft und gern das Plätzchen beim Rösslibrunnen am oberen Ende der Kirchgasse. Man traf Gleichgesinnte, Mütter und Kinder, die ihre Füsse oder gar Kopf und Körper in das kalte Brunnenwasser tauchten. Anschliessend ruhte man sich im Schatten des nahegelegenen Baumes aus. Wobei das mit dem Ausruhen eher uns Mütter betraf als die aufgedrehten Kinder.
Zwei Jahre später zogen wir an die Spiegelgasse, in den Grimmenturm. Die Räume waren höher und die Hitze erträglicher. Jedoch mussten wir die Terrasse an der Froschaugasse zurücklassen. Es galt Alternativen zu suchen. So erklärte ich das Leuenplätzli zu meinem neuen Grünzimmer. Der Brunnen diente ebenfalls zur Abkühlung, die Bänke unter den Bäumen als Leserückzugsort und noch heute statte ich dem Platz ab und zu einen Besuch ab, mit einer Tasse Kaffee.
Wenn im Juni/Juli EM- oder WM-Fieber herrscht, steckt es auch die Bewohner und mich an, das Geschehnis gemeinsam zu geniessen (obwohl ich kein Fussballfan bin). Dann wird der Platz umfunktioniert zu einem Übertragungsort und die Anwohner, mit Hilfe des Altstadthauses, kommen mit Essen zum Grillieren, Anfeuern und Quatschen.
Ebenfalls auf meiner geschätzten Platz-Liste ist der Zähringer-/Predigerplatz. Beim Umzug von der Froschau- an die Spiegelgasse nutzte ich die Gelegenheit, die alten Kleider und Spielsachen auf dem Quartier-Flohmarkt zu verkaufen. Unter dem Jahr ist es ein Platz im italienischen Stil: mit Brunnen, verschiedenen Restaurants und Bars, Einkaufsmöglichkeiten und vielen Sitzgelegenheiten rund um die beiden Plätze. Zwischendurch schlemmen wir ein Eis auf den Bänken und lassen die Stimmung von «dolce vita» aufkommen.
Wer noch mehr «süsses Leben» sucht, dem empfehle ich den Neumarkt. Rund um den Brunnen gibt es zwei einladende Restaurants, wo ich mir hin und wieder nach der Arbeit einen Aperol Spritz gönne.
Einmal im Jahr findet das Neumarktfest statt. Dann wird der Neumarkt geschmückt und mutiert mit Festbänken, Bühne und Essen- und Getränkeständen zum Festplatz. Ich half vor Jahren mit und lernte ungezwungen beim Geschirrwaschen oder an den Ständen Leute kennen. Mittlerweile ist es ein Treffen alter Bekanntschaften.

Plätze mit Hund
Als meine Schwester Katrin aus Brighton mit ihrem Hund Manola in die Altstadt zog, suchten wir Orte, wo auch der Hund seinen Platz hat. Ein solcher beliebter Ort ist sicher die J.-R.-von-Salis-Anlage beim Gerichtsgebäude. Auch wer keinen Hund besitzt, kann dort dem Treiben der unterschiedlichsten Hunderassen beiwohnen und kommt schnell ins Gespräch mit deren Besitzern. Wenn ich Manola hüte, besuche ich nebst diesem Platz auch gerne den Park an der Hohen Promenade (zwischen Kantonsschule Hohe Promenade und Kantonsschule Stadelhofen). Früher war es auch der Ort, um mit meinem Kind den Kinderspielplatz zu besuchen. Heute sitze ich gern etwas abseits auf einer Bank, lasse Manola zu meinen Füssen ruhen und geniesse den Blick auf den Zürichsee.

«Erholung gesucht»
Da der Sohn nun älter ist und die Plätze nicht mehr mit der Mutter aufsucht, entdeckte ich für mich weitere neue Oasen in der Altstadt.
Manchmal brauche ich einen Rückzugsort, um meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Wenn dem so ist, gehe ich gern in den Garten der Villa Tobler. Die grossen, alten Bäume spenden Schatten, die Wiese ist ein idealer Picknickort und die vorhandenen Stühle und Tische geben eine gute Unterlage zum Schreiben. Der versteckte «Drachenbrunnen» hilft mir bei Denkblockaden.
Wenn ich etwas in der Nähe suche, dann schätze ich den Susanna-Gossweiler-Platz, auch als Rehplätzchen bekannt. Es ist ein ideal ruhiger Ort zum Lesen.
Seit Freiwillige des Quartiervereins den Park gesäubert, umgegraben und neu bepflanzt haben, ist er ein weiteres kleines Paradies. Ich kann mir auf einer der Bänke mit den schweren Einkaufstaschen eine Pause gönnen, beim Tümpelchen Insekten und Kleintiere beobachten oder die News des Tages auf dem Smartphone lesen.  Nun könnte ich noch weitere Orte aufzählen – es sind ja noch so viele. Und alle haben etwas gemeinsam: Sie sind für mich Urlaub vom Alltag, Kraftquelle und auch Treffpunkt.
Sie sind da, um entdeckt zu werden. In diesem Sinne: Auf die Plätze – fertig – los!

Anja Hefti

Unsere Gastschreiberin
Anja Hefti (1970) ist in Langwies und Chur aufgewachsen, wo sie die Schulen besuchte. Nach einem Jahr als Au-pair in Rom absolvierte sie das Kindergartenseminar in Chur. 1992 kam sie nach Zürich und arbeitete in Schlieren als Kindergärtnerin, bis 2006, sodann in Zürich als Grundstufenlehrerin, bis 2009. Seit 2010 arbeitet sie nach der entsprechenden Ausbildung als Leiterin Betreuung an der Schule Liguster in Zürich.
2008 zog sie in die Altstadt, wo sie mit ihrem 17-jährigen Sohn Finn wohnt. Seit 2017 wirkt sie im Vorstand des Vereins Nachbarschaftshilfe Kreis 1 mit, seit 2019 als Präsidentin.    Foto: EM