Die Altstadt im Corona-Modus

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Das Coronavirus hat das öffentliche Leben lahm gelegt. Alles steht still. Die Altstadtgassen sind leer. Das pulsierende Leben macht mal Pause. Doch hinter den Fassaden tut sich einiges.

Sonntagmorgen, 9 Uhr. Die Gassen der Altstadt sind menschenleer. Auf dem Hirschenplatz gähnende Leere. Die Geschäfte und Restaurants sind geschlossen, die Tische hochgeklappt, die Stühle aufgestapelt und angekettet. Ein Paar kommt daher, dann eine junge Frau mit Kinderwagen, eine Person mit Hund an der Leine, ein Jogger. Sonst nichts.
Es ist Ende März. Dieses Bild von Sonntagmorgen zeigt sich nun schon zwei Wochen. Sieben Tage die Woche, den ganzen Tag. Nur an einem besonders milden sonnigen Frühlingstag gibt es kurzzeitig etwas mehr Bewegung, man muss mal an die frische Luft.
Der «Lockdown» vom 16. März hat das öffentliche Leben zum Stillstand gebracht. Geschäfte, Restaurants, Kulturinstitute, die Schulen: alles geschlossen. Wer kann, macht Homeoffice – das neue Zauberwort –, bleibt zu Hause. Ein Erfordernis der Zeit. «Bleiben Sie zu Hause. Bitte. Alle.» So steht es auf Flyern, welche die Flyer mit den allgemeinen Verhaltensregeln ergänzen und überall gut sichtbar hängen, teils im Plakatformat. An Haltestellen, in Trams, die fast ohne Fahrgäste unterwegs sind.

Trotz allem geöffnet
Geöffnet bleiben die Lebensmittelgeschäfte und Apotheken. Auch hier gibt es Regeln, damit der Abstand von zwei Metern eingehalten werden kann. So darf sich je nach Grösse des Geschäfts nur eine bestimmte Anzahl Personen gleichzeitig im Laden aufhalten. Die Umsätze sind auf bescheidenem Niveau. In der Altstadt fehlen viele Berufstätige, die sich hier normalerweise verpflegen, die Studierenden der Hochschulen, die Touristen. Bei der Metzgerei Zgraggen an der Stüssihofstatt herrscht normalerweise nicht nur um die Mittagszeit ein richtiges Gewusel. Heute dürfen sich nur vier Kundinnen und Kunden gleichzeitig im Laden aufhalten und es kann vorkommen, dass mal jemand kurz draussen warten muss. Zwei Habitués essen zusammen zu Mittag, am Brunnenrand, diagonal über den Brunnen hinweg, mit drei Metern Abstand.
Beispielsweise bei der «Spaghetti Factory», bei «Piadina», bei der Pizzeria «Santa Lucia» gibt es über Mittag ein Take Away. Überrannt werden diese Angebote gleichwohl nicht. Beim Lebensmittelladen von Mabilio Ramos am Neumarkt stehen die Leute manchmal Schlange vor dem Laden, in dem nur zwei Kundinnen zugelassen sind, beziehungsweise gruppieren sich mit viel Abstand im Schwarm. Das ist anzuschauen wie ein Mobilé. Bewegt sich ein Element, bewegen sich die anderen mit. Die optimale Distanz hat sich rasch zur Gewohnheit entwickelt. Schaut man sich einen Film an, kann es vorkommen, dass man beim Begrüssungsritual einer Gruppe mit Umarmungen und Küsschen leicht zusammenzuckt.

Gewerbe in Bedrängnis
Gewerbe und Gastgewerbe leiden massiv unter der Situation, die Einnahmen bleiben aus. Der Bund hat ein beispielloses Hilfspaket geschnürt. Subsidiär hat auch die Stadt Zürich Massnahmen zur Unterstützung beschlossen. Dazu gehören die aufgeschobenen Zahlungsfristen für die Mieter von Gewerberäumen in städtischen Liegenschaften. Am 27. März kam das Angebot dazu, sich bei Bedarf in Verbindung zu setzen betreffend allfälliger Mietzinsreduktion. Ein Goldschmied in der Altstadt hat sich per Mail gemeldet: «Mein Vermieter hat mich heute telefonisch von sich aus kontaktiert. Er hat mir aus Solidarität die ganze Monatsmiete für den April erlassen. – Vielleicht hilft ja da und dort auch ein Gespräch mit dem Vermieter.»

Grosse Hilfsbereitschaft
Besondere Vorsicht ist geboten für die Risikogruppen, für Menschen mit gesundheitlicher Vorbelastung und für Ältere. Damit sie sich nicht unnötig in Gefahr begeben müssen, haben sich in kurzer Zeit etliche Hilfsangebote formiert. An vielen Haustüren angebrachte Flyer bieten «Solidarität für Zürich». Dabei handelt es sich um eine von der Jungen Kirche gestartete Aktion, die inzwischen von Nachbarschaftshilfen der Stadt, von der katholischen wie auch der reformierten Kirche mitgetragen wird. Es wird hier übergreifend zusammengearbeitet, wie die freundliche Stimme am Telefon erklärt. Acht Personen seien aktuell gerade mit dem Telefondienst beschäftigt, im Büro bei Katholisch Stadt Zürich am Werdgässchen 26. Dreihundert Freiwillige stünden bereit, ebenso viele Einsätze hätten bereits getätigt werden können (Stand 30. März). «Wir wollen einfach, dass die älteren Leute nicht mehr einkaufen gehen müssen.»
In der Altstadt bieten auch die reformierten Altstadtkirchen Unterstützung an. Die beiden Sozialdiakoninnen Ariane Ackermann und Belinda Harris vermitteln praktische Hilfe in Zusammenarbeit mit dem Kulturhaus Helferei. Sie haben auch ein offenes Ohr für Gespräche. Für Seelsorgegespräche stehen die Pfarrpersonen zur Verfügung.
Ein weiteres Angebot hat Tobias Frehner (Hochschulseelsorger, Leiter des «Kafi Hirschli») aufgegleist. Kurz vor der Schliessung der Uni haben sich fünfzig bis sechzig Personen auf eine Helferliste eingetragen und stehen bereit, Einkäufe zu erledigen oder Ähnliches.
Die Nachbarschaftshilfe Kreis 1 ist in diesen Tagen besonders gefordert, wie die Vermittlerin Katja Chmelik (die derzeit unterstützt wird durch Margrit Tappolet) erklärt. Innert kurzer Zeit haben sich vierzig jüngere Personen als freiwillige Helferinnen und Helfer gemeldet, um in der ersten Phase die Einkäufe sicherzustellen. In einer zweiten Phase dürfte das Gesellschaftleisten in Form von Telefongesprächen an Bedeutung gewinnen, wie sie vermutet. Denn die ganze Zeit (allein) zu Hause zu bleiben ist nicht für alle gleich gut auszuhalten. Für Katja Chmelik ist die Welle von Hilfsbereitschaft und Solidarität eine sehr schöne Erfahrung: «Wunderschön, überwältigend! – Und auch die informelle Hilfsbereitschaft im Quartier, in der Nachbarschaft, ist fantastisch!» Diese positiven Meldungen und Zeichen der Hoffnung können derzeit wohl alle gebrauchen.
Zum Schluss nochmals etwas Positives: Zwei in der Altstadt lebende Personen (die nicht namentlich genannt werden wollen), ein Ehepaar zwischen 65 und 70 Jahre alt, sind am Coronavirus erkrankt. Was sich anfänglich anfühlte wie eine Grippe, mit Husten, Halsschmerzen und Fieber, hat sich im Test als die gefürchtete Krankheit erwiesen. Das Fieber stieg bis gegen 40 Grad, dann haben sich die Symptome rasch verringert. Zwei Wochen nach Auftreten der ersten Symptome ist nur noch ein Rest des Hustens geblieben. Beide konnten die Krankheit zu Hause auskurieren, die Symptome der Frau waren milder als die ihres Mannes. Die beiden sind wieder wohlauf.

Elmar Melliger

Hilfsangebote
Solidarität für Zürich: Einkaufen, Kinderbetreuung, Gassi gehen. Telefon 077 512 30 38 (Montag bis Freitag, 11 bis 15 Uhr), soli.junge-kirche.ch, solidaritaet@zh.kath.ch.
Kirchenkreis eins Altstadt: Praktische Alltagshilfe wie Einkaufen, Hund Gassi führen etc. sowie Gespräche. Sozialdiakoninnen Ariane Ackermann, Tel. 044 221 06 74, ariane.ackermann@reformiert-zuerich.ch und Belinda Harris, Tel. 044 250 66 23, belinda.harris@reformiert-zuerich.ch. Seelsorge-Gespräche mit Pfarrpersonen: Tel. 044 250 66 99.
Reformierte Kirche, Kafi Hirschli, Tobias Frehner (Hochschulseelsorger): Einkaufen, Post, Entsorgen.  Tel. 079 381 34 63 (12 bis 16 Uhr), tobias.frehner@zhref.ch. Nachbarschaftshilfe Kreis 1: Einkaufen, Gespräche. Tel. 044 252 02 01, kreis1@nachbarschaftshilfe.ch.
Weitere Hilfsangebote: www.stadt-zuerich.ch/freiwillig.   

EM