Altstadt-Unterwanderung

Kanal-Innensanierung, so heisst es auf Plakaten, die über die Bauarbeiten informieren, welche im 150-jährigen Wolfbach-Kanal derzeit ausgeführt werden. Viele nehmen damit zur Kenntnis, dass es diesen überhaupt gibt. Der Altstadt Kurier erhielt die Gelegenheit, für einmal die gewohnten Pfade zu verlassen und die Altstadt in fünf Meter Tiefe zu unterwandern.

In der Baubaracke stürzen wir uns ins passende Tenu: Overall, hohe Gummistiefel und Schutzhelm sind angesagt. Draussen, an der Obmannamtsgasse, beim Brunnen vor dem neuen Obergericht, schiebt Christoph Wyss, der Gesamtprojektleiter beim Tiefbauamt, den schweren Schachtdeckel zur Seite. Wir zwängen uns durch die Öffnung und steigen die Leiter hinunter. In fünf Meter Tiefe haben wir wieder festen Boden unter den Füssen, wir stehen aufrecht im Kanal, der hier wohl drei Meter hoch ist. Unser Weg führt uns zunächst ein Stück flussaufwärts. Wir legen ihn trockenen Fusses zurück bis zu der Stelle, wo gestaut wird. Eine trübe Flüssigkeit wird hier in ein Rohr geleitet, das von hier aus auch alle anderen Zuleitungen fasst, im zu sanierenden Kanalabschnitt.

Früher Bach, heute Abwasserkanal
Genau 401 Meter sind das, wie ein Plan in der Baracke verrät. An diesem Ort ist zu erkennen, was der Name des Bauwerks schön verschleiert: der Wolfbach-Kanal führt in der Altstadt kein sauberes Bachwasser, sondern Abwasser oder Mischwasser. Zum Abwasser aus den Haushaltungen kommt das Regenwasser von der Strasse, das durch Pneuabrieb und anderes verunreinigt ist und deshalb ebenfalls zur Kläranlage geleitet wird. Der Bach indessen wird viel weiter oben, bei der Bergstrasse, umgeleitet und fliesst kanalisiert beim Utoquai in den See.
Von dieser Stelle aus geht es nun also in Flussrichtung durch den Kanal, in Richtung Neumarkt und von dort parallel zur Froschaugasse zum Zähringerplatz. Zunächst unter dem Obergericht durch. Der mindestens 150-jährige Kanal wurde von Mitte Januar bis anfangs März mit ohrenbetäubendem Krach mittels Hochdruckwasserabtrag sozusagen porentief gereinigt.
Nunmehr sauber, und weil das Abwasser ja temporär im seitlich geführten Rohr fliesst, riecht es gar nicht so übel, wie man das vielleicht erwarten könnte.

Archäologisch interessant
Diese Hochdruckarbeiten waren an der Oberfläche weit herum als lautes Zischen zu hören. Irgendwo lief auch der zugehörige Kompressor, der die 2000 Bar Druck erzeugte. Die Arbeiter im Kanal tragen für diese Arbeit Schutzanzüge und sehen aus wie Astronauten.
Der Effekt ist der, dass Boden und Wände freigelegt sind. So erkennt man die verschiedenen, über die Jahrzehnte beim Bau und bei Sanierungen verwendeten Baumaterialien: Mal ist die Kanalwand glatter Stein, mal poröses Material. Christoph Wyss macht aufmerksam auf ein rötliches Gestein, Verrucano, oder auf mächtige Quader. Diese stammen vermutlich von der alten Stadtmauer. Das genauer zu ergründen wird die Aufgabe der Archäologen sein, die in diesen Tagen den Kanal speziell im Bereich des Obergerichts unter die Lupe nehmen. Hier stand früher das Barfüsserkloster, später das Obmannamt, hier unterquerte der Bach die Stadtmauer. Irgendwo führt ein rechteckiger Schacht in die Höhe, was Abenteuerlust und Forschertrieb anregt.
Ein Stück des Wegs gegangen, hat der Kanal über eine gewisse Distanz sein Gewölbe eingebüsst. Ihm wurde ein Deckel in die Wölbung gesetzt. Ob es der Erweiterungsbau des Obergerichts ist, oder sind wir schon weiter? Ganze siebzehn verschiedene Profile unterscheiden die Fachleute, ersichtlich auf einem Plan. Mal ist der Kanal aus Bruchsteinen gebaut, streckenweise mit Korb- oder Rundbogen, dann wieder eiförmig oder eben mit einer Betonplatte als Dach.
Zweieinhalb Millionen Franken kostet die Sanierung gesamthaft, die von Januar bis in den Spätsommer dauert und etwa auch die Erneuerung der Schlammsammler umfasst.
Irgendwo hängt eine Tafel mit der Jahreszahl 1850. So alt, teilweise viel älter ist der Kanal. Und ebenso an der Wand hängt zurzeit ein Gerät, das so etwas wie eine Lebensversicherung der Arbeiter darstellt: ein Blinklicht und ein Horn warnen, wenn der Wasserstand ein gewisses Level übersteigt. Dann heisst es alles liegen lassen und raus ans Tageslicht. Bei starkem Regen kann sich der Kanal bis oben füllen. Wobei sich der begehbare Kanal stellenweise nur stark gebückt passieren lässt. Und immer wieder steigen wir über oder kriechen unter quer verlaufenden Rohren durch. Hier und dort tropft es von der Decke, einmal läuft uns eine Ratte über den Weg, eine einzige nur, denn das sind scheue Tiere.

Drei Arbeitsgänge
Das laute Zischen wird an der Oberfläche übrigens noch einmal während insgesamt fünf bis zehn Arbeitstagen an verschiedenen Orten zu hören sein. Dann nämlich, wenn das provisorische Abwasserrohr auf die andere Seite des Kanals verlegt wird, damit die restliche Fläche noch behandelt werden kann.
Im zweiten Arbeitsgang, nach dem Hochdruckwasserabtrag, wird der Boden des Kanals, die Wasserrinne, mit einer Steinzeugplatten-Sohle ausgerüstet, werden extrem hart gebrannte Tonplatten verlegt, die dem Abrieb durch Sand jahrzehntelang standhalten.
Die Wände werden, in der dritten Etappe, zunächst nochmals mit Druck (nur noch mit 50 bis 80 Bar) gereinigt und sodann mit einem faserverstärkten Mörtel verputzt, stellenweise zusätzlich mit einem Armierungsnetz versehen. Diese Arbeit, das Aufspritzen des Mörtels, muss jeweils in einem Zug erfolgen, da bei einem Unterbruch der Mörtel in den Schläuchen erhärten würde. Das kann bedeuten, dass ausnahmsweise die mittägliche Ruhezeit nicht eingehalten werden kann, wofür im Voraus eine Bewilligung eingeholt werden muss, wie Christoph Wyss erklärt. Ansonsten gilt die Stunde von 12 bis 13 Uhr als Ruhezeit, während der lärmige Arbeiten zu unterlassen sind.
Für die Nachbarschaft sind gewisse Arbeiten mit Immissionen verbunden, ausgehend eben von einer Pumpe oder einem Kompressor, der an einem der Kanaleinstiege steht. Während der ganzen Bauzeit, nach Plan bis September, bleiben übrigens die Installationsflächen belegt, bei den Einstiegen, an der Obmannamtsgasse oder beim Zähringerplatz. Wyss hofft, dass sich die Bauzeit etwas verkürzt, denn man ist bis jetzt gut vorangekommen. Denn auch bei der Arbeit im Kanal ist man auf gutes, das heisst nicht zu nasses Wetter angewiesen.
Wir sind unter dem Zähringerplatz angelangt. Ein Stück weiter vorn, unter der Mühlegasse, wurde nach der letzten grossen Überschwemmung etwa Mitte der Achtzigerjahre, als die Dolendeckel am Neumarkt, aber auch an der Mühlegasse, durch das herausschiessende Wasser einen Meter in die Höhe gehoben wurden, ein Überlaufwehr errichtet. Leaping Weir nennt sich das und hat zur Folge, dass bei Hochwasser im Kanal das Wasser nicht wie üblich zur Kläranlage, sondern ausnahmsweise über den Überlauf direkt in die Limmat fliesst. So wie das anno dazumal der Wolfbach auch getan hat.

Elmar Melliger