Die ersten Schneeflocken

Unsere diesjährige Weihnachtsgeschichte hat Renate von Ballmoos, Pfarrerin der Kirchgemeinde zu Predigern, verfasst.

Kennen Sie die Freude, wenn Sie zum Fenster hinausschauen und feststellen: Es schneit! Als Kinder sind wir jeweils hinausgerannt, um festzustellen, dass es tatsächlich Schneeflocken sind, die da vom Himmel herab schweben. Und das Glücksgefühl war riesig. – Heute bleiben wir drin, aber wir lächeln und sind vergnügt. Jedenfalls mir geht es jedes Jahr wieder so. Zum Beispiel kürzlich an einem Wochenende: Da hat es nach einem grauen und nassen Sonntag im November gegen Abend zu schneien begonnen, nicht hier in Zürich, zugegeben, aber im Berner Oberland, wo ich zu Besuch war. Der abendliche Spaziergang mit Hund und Mann war dann nicht Pflicht, sondern ein Freudenfest für Hund und Mensch. Und erst am Tag danach: Das Tal über dem Brienzersee war eingepackt in ein weisses Wattekleid, die Berge tief verschneit, die Landschaft lag glitzernd in der Sonne. Immer wieder sind wir auf unserer Wanderung stehen geblieben und haben gestaunt: Wie schön!

Stimmen der Vernunft
Ein ähnliches Gefühl ergreift mich jedes Jahr am Lichterfest in der Altstadt oder kurz danach, wenn ich abends allein durch die adventlich beleuchteten Gassen gehe. «Wie schön!», denke ich, und eine kindliche Freude ergreift mich. Ich bleibe stehen, schaue, staune. – Doch ich kenne auch eine andere Stimme in mir: Als erwachsene Menschen wissen wir, dass jede Weihnachtsbeleuchtung Energieverschwendung ist und völlig überflüssig. Als erwachsene Menschen wird uns auch der Schnee in der Stadt bald einmal lästig, der Matsch, das Eis, das Salz.Und zuweilen gelingt es unseren vernünftigen Erwachsenengedanken, uns die Freude und das Staunen so richtig zu vermiesen. Das ist schade, denn Advent und Weihnachten sind durch solche Überlegungen nicht zu verstehen, und wir können sie auch nicht feiern, ohne einen Hauch von kindlicher, staunender Freude.
Natürlich ist uns der ganze Rummel zuweilen zuwider. Geschenke brauchen wir keine, da wir sowieso fast alles schon haben. Und mehr wollen wir nicht. Und das viele Essen tut uns auch nicht gut. So spricht die Vernunft und so sprechen wir oft auch untereinander über die Weihnachtszeit. Es ist Mode geworden, vernünftig zu sein und auch auf Kerzen (Brandgefahr!), Weihnachtsbaum (Ökologie!), Weihnachtseinladungen (zu viele Pfunde!), Geschenke (Konsumgesellschaft!) zu verzichten und stattdessen irgendwo in die Ferien zu verreisen. Es ist Mode geworden, Adventsstimmungen als Kitsch abzutun und an Weihnachten vor allem die arbeitsfreien Tage zu schätzen. – Doch so lässt sich Weihnachten weder verstehen noch feiern. Denn das Weihnachtsfest lebt davon, dass wir uns freuen und uns vom Gedanken verzaubern lassen, dass der himmlische Glanz bis zur Erde reicht, ja mehr noch, dass das Göttliche in uns Menschen wohnen will.

Vorfreude teilen
Die Adventzeit lebt von der Vorbereitung auf solches Geschehen, sie lebt davon, dass wir die Vorfreude miteinander erleben, teilen und uns gegenseitig damit anstecken.
Ob sich diese Freude ausdrückt im stillen Beieinandersitzen im Kerzenschein, in einem Schneespaziergang bei Mondlicht oder in einem Besuch mit Geschenken und Weihnachtsguetzli, das ist nebensächlich und unwichtig. Entscheidend ist nur, dass wir in diesen Tagen unsere kindliche Seele nicht ganz ausblenden, sondern sie mitfeiern lassen.
Entscheidend ist, dass wir nicht denken und sagen:
Schnee in der Stadt? – Unpraktisch!
Licht in den Gassen? – Verschwendung!
Himmel auf Erden? – Unmöglich!
Entscheidend ist, dass wir uns als Menschen- und Erdenkinder Freude zugestehen und uns an den tanzenden Schneeflocken freuen, die menschgewordene Liebe Gottes feiern und über den hellen und heilvollen Glanz des Himmels staunen.
Ich wünsche uns frohe, fröhliche Weihnachten!

Renate von Ballmoos