Abschied vom Bürklimäärt

Über hundert Jahre hat die Bauernfamilie Stierli von Urdorf ihre Produkte auf dem Markt in Zürich angeboten. Nun treten Elisabeth und Gottfried Stierli in den Ruhestand und ihr Sohn konzentriert sich auf den Hof.

Elisabeth Stierli – Bethli hört sie lieber, so nennen sie alle – steht mit ihrem Mann Gottfried an ihrem Stand auf dem Markt am Bürkliplatz. Es ist 8 Uhr früh, eine Kundin möchte gleich drei Flaschen frisch gepressten Apfelsaft: «Es ist der beste, den es gibt.» Frau Stierli lächelt. Ihr Sohn Urs, der den Hof vor 22 Jahren übernommen hat, wählt jeweils mehrere Sorten Äpfel aus, etwas süssere und vielleicht eine saure, was dann die gute Mischung ergibt. Die Obstanlage haben Stierlis 1981 angelegt, Niederstammbäume. Wobei sie auch noch Hochstammbäume haben, vor allem die Kirschbäume.
Die Urdorfer Bauernfamilie kommt seit über hundert Jahren in die Stadt. 1903 hat der Grossvater von Gottfried, der wie sein Vater ebenfalls Gottfried hiess, den Möhrenhof gekauft und die Produkte regelmässig zum Markt in Zürich gebracht.
Zu Beginn ist man jeweils mit einem Wagen von Urdorf nach Uitikon hinauf gelaufen, wo die Frauen bei einem Pferdefuhrwerk aufsitzen konnten und so in die Stadt gelangten. Damals war der Markt noch an der Bahnhofstrasse in der Nähe des Hauptbahnhofs. Später haben die Kinder jeweils am Vorabend die Ware auf den Bahnhof gebracht und am Morgen hat man noch Körbe hingetragen und auf einen Bahnwagen verladen. In Zürich am Bahnhof hat dann ein Gepäckmann den Transport bis zum Markt übernommen.
Als der Markt an den Bürkliplatz verlegt wurde, hatte die Familie Stierli den Stand beim Eckhaus an der Fraumünsterstrasse – der Markt reichte weit in die Fraumünsterstrasse und in den Stadthausquai hinein – und konnte das Material in einem Innenhof deponieren. 1947 hat man einen Jeep angeschafft, was den Transport erleichterte.

Alles vom Hof
Ein Mann mit Aktentasche kauft gezielt einige Äpfel ein, er schätzt die grosse Auswahl auch an alten Sorten. Da gibt es Berlepsch, Uster-Äpfel, aber auch Kugelibirnen, die man beim Grossverteiler vergeblich suchen würde. Kleinmengen einzukaufen ist heute keine Seltenheit, beispielsweise 200 Gramm Kirschen für den Znüni, während einst ganze Kistchen Früchte oder Gemüse gekauft wurden, zum Einmachen. Heute fehlt zum Einmachen die Zeit, der Keller zum Lagern und teilweise auch das Gewusst-Wie.
Dies ist fast der einzige Stand am Markt, so verrät Frau Stierli, der ausschliesslich Waren aus eigenem Anbau anbietet. Das Angebot ist beeindruckend und lässt die grosse Arbeit, die dahinter steckt, nur erahnen. Die Saison der Kirschen ist ja schon länger vorbei, Stierlis kultivieren zehn Sorten! Es sind gerade noch die letzten Zwetschgen zu haben, Quitten, dazu eine reiche Auswahl an Äpfeln und Birnen. Dazu kommen Kartoffeln, Zwiebeln, etwas Gemüse, Eier. Weiter im Angebot sind Dörrfrüchte, im Umluft-, früher im Kachelofen getrocknete Früchte. Frau Stierli macht immer diverse Konfitüren, was früher zu den Aufgaben jeder Hausfrau gehörte. Den Honig macht ein Imker, die Bienenstöcke stehen auf dem eigenen Boden. «Früher hatten wir mehr Blumen», erinnert sich Bethli Stierli, «als wir mit Sonnenblumen anfingen, war das ein Renner. Doch dann haben andere das gemerkt und haben nachgezogen.» Sie besorgt den Garten, wo neben Gemüse auch Kräuter wachsen. Und ab Hof, sagt sie mit einem Augenzwinkern, gibt es die Äpfel, Williamsbirnen und Zwetschgen auch hochprozentig zu kaufen, denn einmal im Jahr kommt der Brenner auf den Möhrenhof.

Seit Generationen hier eingekauft
Lottti Altherr (82) hat schon als Kind ihre Grossmutter zum Einkauf bei Stierlis auf dem Bürkliplatz begleitet. Gewohnt hatte sie damals in unmittelbarer Nähe, im Obergeschoss des Gebäudes der Nationalbank. So nahe haben es die Wenigsten. Immerhin kommen viele Quartierbewohnerinnen und -bewohner hierher, das merkt man daran, dass sie sich untereinander kennen. Einige, so erzählt Bethli Stierli, kommen von weiter her, von Horgen, Wädenswil gar, oder von Meilen. Es gibt welche, die sich fast vollständig auf dem Markt mit Lebensmitteln eindecken und sagen, dass sie nur selten einen Laden betreten.

Eine Ära geht zu Ende
«Wir werden Sie so vermissen», sagt eine Stammkundin. Stierlis informieren nun ihre Stammkundschaft, bei der sie sich herzlich für die Treue bedanken möchten, darüber, dass sie nur noch bis Ende Jahr zu Markte fahren. Urs Stierli (53) hat zwei Töchter, die beruflich etwas anderes machen. So hat er sich dazu entschlossen, sich auf den Hof zu konzentrieren, wo seine Frau mithilft, und auf die Holzerei. Zu Markt zu fahren fehlt künftig die Kapazität, weil seine Eltern Gottfried und Bethli sich nun zur Ruhe setzen wollen. Bethli hat seit 1958 ihre Schwiegereltern jeweils auf dem Markt vertreten, seit 1973 kommt sie regelmässig her und seit die Schwiegermutter mit 80 aufgehört hat, wird sie unterstützt von ihrem Mann. Nun wird es den beiden zu streng, Sommer und Winter jeden Dienstag und Freitag schon um 6 Uhr morgens auf dem Bürkliplatz zu stehen.
«Es wird langsam Zeit, aufzuhören», sagt der 86-jährige Gottfried, seine Frau ist mit 76 auch nicht mehr die Jüngste. Sie wird weiterhin im Garten arbeiten, sie beide wohnen wenige Minuten vom Möhrenhof entfernt, und freut sich mit ihrem Mann auf die Zeit mit etwas mehr Musse.

Elmar Melliger

Auf dem Möhrenhof der Familie Stierli in Urdorf kann man auch direkt einkaufen. Montag bis Freitag 17 bis 18.30 und Samstag 9 bis 12 Uhr, Tel. 079 295 46 07.