Was lange währt, wird endlich gut

Der vor kurzem eröffnete Erweiterungsbau und der renovierte Kunstgewerbeschulflügel bieten viele neue Möglichkeiten und Angebote. Aber ganz fertig ist die Gesamt­sanierung des Museums noch immer nicht.

Am 31. Juli war es so weit: Mit einem Festakt und einer staatsmännischen Ansprache von Bundesrat Alain Berset begann der 26 Stunden dauernde Grossanlass zur Eröffnung des neuen Landesmuseums – ein im wahrsten Sinne des Wortes rauschender Auftakt unter den geöffneten Schleusen des Himmels, der seine Freudentränen auf die Festgemeinde vergoss. Das tat der guten Stimmung über das gelungene Werk aber keinen Abbruch, umso weniger als der folgende 1. August die in Massen herbeigeströmten Besucherinnen und Besucher mit schönstem Sonnenschein erfreute – über 23 000 sollen es an den beiden Tagen gewesen sein. Und Grund zur Freude ist ja wirklich vorhanden: Vierzehn lange Jahre sind verstrichen, seitdem die Architekten Emanuel Christ und Christian Gantenbein im Jahr 2002 den Projektwettbewerb für die Erweiterung und den Umbau des Museums gewonnen hatten; nun konnte das erneuerte Museum der Öffentlichkeit übergeben werden.

Ganz neue Möglichkeiten
Alt und Neu treffen markant aufeinander. Natürlich fällt zunächst der eigenwillige Erweiterungsbau mit seinen charakteristischen, an einen Ozeandampfer erinnernden Bullaugen auf. Unser Stadtwanderer Benedikt Loderer, seit jeher ein begeisterter Anhänger des Neubaus, nennt ihn in seinem lesenswerten Essay in der vom Bundesamt für Bauten und Lo­gistik herausgegebenen Publikation einen Zauberfelsen oder Zauberberg. Mit ihm erhält das Museum endlich die lang ersehnten Ausstellungsräume, ausgerüstet mit der modernsten Haustechnik bezüglich Sicherheit und Klima sowie einer Infrastruktur für die Ausstellungsgestaltung, wie sie für zeitgemässe Museen heute erforderlich sind.
Damit ist es nun auch dem Landesmuseum möglich, hochkarätige Sonderschauen wie die gegenwärtige Renaissance-Ausstellung zu realisieren, für die sogar internationale Institutionen bereit sind, wertvollste Objekte aus ihren Beständen als Leihgaben zur Verfügung zu stellen.
Neben den wichtigen Ausstellungsflächen beinhaltet der Neubau auch ein multifunktionales Auditorium für 250 bis 300 Personen, das für museumseigene, aber auch von auswär­tigen Gruppen organisierte Veranstaltungen zur Verfügung steht.
Und als besondere Attraktion sei der wunderschöne Lesesaal der Bibliothek erwähnt, der sich mit seiner Aussicht ins Grüne und auf die Limmat als ruhige Oase für ein wissbegieriges Publikum anbietet.
So erfüllt bereits der Neubau die Bedürfnisse nach erweiterten Möglichkeiten, grosszügigen Raumverhältnissen und verbesserter Besucherfreundlichkeit.

Studienzentrum
Ebenso eindrücklich erweist sich aber auch der Umbau des limmatseitigen Kunstgewerbeschulflügels, dem ganz neue Funktionen zukommen, die das Bild des modernisierten Museums genau so stark prägen. Der nun an zentraler Stelle liegende Museumseingang, ein geräumiges Foyer, das auch einem grösseren Besucheransturm gewachsen sein dürfte, die mit einem reichhaltigen Sortiment bestückte Museums-Boutique und der direkte Zugang zu den originell ausgestatteten Räumen von Bistro, Bar und Restaurant «Spitz» unterstreichen das grundsätzliche Vorhaben des Landesmuseums, sich einem breiten Publikum zu öffnen.
An die frühere Nutzung dieses Flügels durch die Kunstgewerbeschule (bis 1931) erinnert das im ersten und zweiten Obergeschoss eingerichtete Studienzentrum. Hier sind einzelne Sammlungsteile untergebracht, die auf Anfrage hin vor Ort konsultiert werden können. Dazu gehören die Bestände der graphischen Sammlung und der historischen Fotografie, das Münzkabinett, eine repräsentative Auswahl der archäologischen Sammlungen sowie Teile der in letzter Zeit ins Landesmuseum gelangten Archive der Zürcher Seidenindustrie, da­runter jene von ehemals namhaften Firmen wie Schwarzenbach, Gessner, Weisbrod-Zürrer oder Abraham. Dank dem erleichterten Zugang zu diesen Bereichen soll das Museum nicht nur als Ort von Ausstellungen, sondern vermehrt auch als Forschungszentrum wahrgenommen werden.

Mit dem Bestehenden verzahnt
Die Multifunktionalität des umgebauten historischen Kunstgewerbeschulflügels mit dem direkten Zugang in den Erweiterungsbau und dessen Andockung an das Gullsche Museum, von Benedikt Loderer als «Königsburg» bezeichnet, in dessen Bahnhofflügel weiterhin die vor sieben Jahren eröffneten Dauerausstellungen «Galerie Sammlungen» und «Geschichte Schweiz» zu sehen sind, machen deutlich, dass Alt und Neu nicht nur als Gegensätze aufeinander prallen. Vielmehr wurde die Erweiterung von Christ und Gantenbein von Anfang an als ein eng mit dem Bestehenden verzahntes Gesamtkonzept verstanden und verwirklicht.

Präsentation und Vermittlung
Die bauliche Erneuerung und Vergrösserung des Museums ist der eine ins Auge fallende Teil des Grossprojektes «Neues Landesmuseum». Dazu gehören aber auch jene Aktivitäten, die sich mit den erweiterten Möglichkeiten in den Bereichen Präsentation und Vermittlung befassen. Im Zusammenhang mit den Studiensammlungen wurde bereits auf neu geschaffene Zugänge zu den Museumsbeständen hingewiesen. Auch im Bemühen, den Besuchern die Dauer- und Sonderausstellungen mit aktuellen Hilfsmitteln näher zu bringen, beschreitet das Landesmuseum seit einiger Zeit teilweise neue Wege. Interaktive Projektionen in den Ausstellungssälen und digitale Informations-Stationen zu den einzelnen Objekten gehören ebenso dazu wie etwa ein E-Guide in der App «Landesmuseum», die auf dem eigenen Smartphone abgerufen werden kann und Kommen­tare zu ausgewählten Exponaten in den Landessprachen und auf Englisch, ja sogar in Russisch und Mandarin bereit hält; für Hörbehinderte gibt es die App überdies in Deutschschweizer Gebärdensprache. Ein digitales Quiz lädt dazu ein, das eigene Wissen über die Schweizer Geschichte zu testen, und, ausgerüstet mit einem Entdeckungskoffer, Karte, Lupe und einem Rätselheft, können Kinder und Familien das Museum auf eigene Faust erkunden. – Zudem wartet das Museum mit einem immer reichhaltigeren, den jeweiligen Interessengruppen angepassten Angebot an öffentlichen Führungen und solchen für private Gruppen, an Workshops und Unterlagen aller Art, auch für Schulen und Lehrpersonen, auf.
Über all diese vielfältigen Vermittlungsangebote sowie über die kommenden Sonderausstellungen orientiert die ebenfalls seit kurzem neu gestaltete Internet-Seite des Landesmuseums. Und übrigens: Das nächste Grossereignis steht bereits bevor. Am Samstag, 3. September, findet die ­lange Nacht der Zürcher Museen statt, in deren Rahmen auch das Landesmuseum wieder ein buntes Programm mit Führungen, Tanz- und Musikdarbietungen und weiteren Interventionen bietet (www.langenacht.landesmuseum.ch).

Nun folgt der Westflügel
Bei aller Freude, mit der hier wie in anderen Medien über das «neue Landesmuseum» berichtet worden ist, sei nicht verschwiegen, dass die Gesamtsanierung des alten Hauses noch immer nicht beendet ist. Im September wird deren letzte Etappe in Angriff genommen. Diese gilt der gründlichen Renovation des sogenannten Westflügels, in dem sich die Abfolge der historischen Zimmer befindet. Diese werden Stück für Stück ausgebaut, im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis eingelagert und, wo nötig, restauriert. Die Gebäudehülle wird dann erdbebensicher verstärkt und mit den notwendigen Installationen für Elektrizität, Heizung, Lüftung und Sicherheit aufgerüstet. Gemäss Zeitplan sollte dieser Museumsteil nach dem Wiedereinbau der Zimmer im Sommer 2019 wieder zugänglich und das Landesmuseum damit für die nächsten Jahrzehnte endgültig à jour gebracht sein.

Matthias Senn