Ein Quartierladen ist wichtig

Mit Bestürzung hat man im Oberdorf die Nachricht von der bevorstehenden Schliessung des Coop-Ladens aufgenommen. Doch mitten im Abschiedsschmerz keimt Hoffnung.

Hans Benz steht im Laden und bedient seine Kundschaft. Vor 46 Jahren hat er die Lehre beim Konsumverein Zürich angetreten. Seit 20 Jahren führt er das Geschäft an der Oberdorfstrasse 26, das bis vor 10 Jahren ein «Konsum» war und seither zu Coop gehört. Viele seiner Kundinnen und Kunden kennt er namentlich: «Wir haben eine grosse Stammkundschaft», sagt er, «und von vielen wissen wir genau, wann sie kommen und was sie möchten.» So legt er bereits beim Erblicken einer Kundin ein Zigarettenpäcklein auf den Ladentisch, das richtige, versteht sich. Oder er hat ein bestimmtes Gebäck zur Seite gelegt für eine andere Kundin. Eine Quartierbewohnerin lobt den Umstand, dass man bei Herrn Benz auch mal etwas posten kann, wenn man das Geld zu Hause liegen gelassen hat, und dass er auch die Kinder kennt und weiss, zu wem sie gehören.

Eine Ära geht zu Ende
Alles aus, fertig? Tatsächlich hat Coop beschlossen, die kleinste Filiale per 31. Dezember dieses Jahres zu schliessen. Mit den 65 Quadratmetern Ladenfläche ist die Verkaufsstelle Oberdorfstrasse in der Tat weit von den Vorgaben gemäss nationalem Konzept entfernt, das eine Mindestgrösse von 300 Quadratmetern für das kleinste Format vorsieht, wie Coop in einem Schreiben festhält. Zudem entspreche das aus Platzgründen reduzierte Sortiment nicht mehr den heutigen Kundenbedürfnissen.
Darüber hinaus, heisst es da weiter, sei der Laden renovationsbedürftig und logistisch schwierig zu betreiben. Herr Benz wird in die wohlverdiente Pension verabschiedet; die beiden Mitarbeiterinnen werden in anderen Verkaufsstellen weiter beschäftigt.
Der Laden ist wirklich klein und vermag nicht restlos alle Bedürfnisse abzudecken, das liegt auf der Hand. Und effektiv benötigt er eine Renovation, das ist augenfällig. Und logistisch ist er eine Herausforderung. So wird alles durch die Ladentüre geliefert und dann von Hand ins Lager getragen, was nicht sofort in die Gestelle gefüllt werden kann, denn der verwinkelte Weg zum kleinen Lager ist zu eng und führt über zwei Treppenstufen, weshalb man mit den gängigen Rollis ansteht.
Wer die Nachricht hört, ist hin und her gerissen. Eine Coop-Verkaufsstelle in dieser Grösse ist wirklich zu einem Kuriosum geworden. Und ob all der logistischen Erschwernisse kann man den Schliessungsentscheid wohl auch nachvollziehen, umso mehr, als der Geschäftsführer ins Pensionsalter kommt und der Zeitpunkt damit günstig ist. (Wobei die Pensionierung von Hans Benz mit 62 erfolgt, also früher als regulär, was ihm aber nicht ungelegen zu kommen scheint. Wobei er sogleich betont, er arbeite gern und er sei gern hier.) Es ist denn auch bei der Kundschaft weniger Groll über den Entscheid zu spüren als Trauer um eine zu Ende gehende Ära. Gezählt die Tage, an denen man «zu Herrn Benz» gehen kann.
Und in diese schmerzlichen Gefühle schiesst die bange Frage: Wie weiter? Was kommt danach? Verliert das Oberdorf diesen wichtigen und einzigen Lebensmittelladen (abgesehen von der nahe gelegenen Bäckerei Vohdin), der notabene ein ebenso wichtiger Treffpunkt ist?

Nachfolge gesucht
All die Fragen beschäftigen auch die Hauseigentümerfamilie, die der Altstadt sehr verbunden ist (und lieber ungenannt bleiben möchte). Sie denkt nicht daran, das Ladenlokal gewinnmaximiert an die nächste Boutiquenkette zu vermieten. Der Eigentümer: «Wir wünschen uns hier weiterhin einen Lebensmittelladen. Uns ist der Geist in der Altstadt wichtig, wo eben nicht nur das Kommerzielle zählt.» (Immerhin ist in diesem Haus seit über 100 Jahren ein Laden. Ursprünglich geführt durch den Rabattverein, dann kam wie gesagt der Konsumverein und schliesslich Coop.) – Er hat sich an den Quartierverein gewandt, um vielleicht auf diese Weise zu einer geeigneten Nachfolgelösung zu finden. Das Thema wurde denn auch an der letzten Vorstandssitzung besprochen. Die Wichtigkeit eines Quartierladens ist unbestritten, und es wird nach einer Nachfolge gesucht. Der Quartierverein begrüsst die Bereitschaft des Hauseigentümers, hier Hand zu bieten für eine gute, quartierverträgliche Lösung.
Doch ist diese noch keineswegs gefunden. Denn es muss jemand mit Erfahrung in diesem Metier sein. Vor einer Weiterführung des Geschäfts ist effektiv eine Renovation nötig, sind bauliche Anpassungen vorzunehmen. Dabei sind behördliche Auflagen einzuhalten, was nicht einfach ist, in einem alten Haus. Solche Investitionen können nicht leichtfertig getätigt werden.
Immerhin attestiert Hans Benz einem Laden in dieser Lage gute Erfolgsaussichten: «Wir arbeiten gut.» Was heisst, dass der Umsatz stimmt, denn es ist eine gute Passantenlage. Kombiniert vielleicht mit einem Take-Away stehen die Chancen für künftige Betreiber also nicht schlecht, sich hier eine Existenz aufbauen zu können.
Gefragt ist ein Laden für den Einkauf für den täglichen Bedarf und jemand, der das gut betreut und dahinter steht. Es braucht jemand mit kreativen Ideen. Vielleicht eine Kombination von Lebensmitteln, Wein, allenfalls Kioskprodukten mit einem Imbiss?

Elmar Melliger